Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
die Instruktion in beschwörende Formulierungen: Ludwig XII. solle nichts überstürzen, den Bruch mit Julius II. unbedingt vermeiden und eine einvernehmliche Lösung suchen, die es beiden Seiten erlaube, das Gesicht zu wahren. Für die Vermittlung einer solchen Übereinkunft bot die Republik Florenz ihre guten Dienste an. Ein Friede mit dem Papst, so Soderini weiter, nütze nicht nur Florenz, sondern auch dem König. Julius II. sei als Freund nicht viel wert, doch als Feind unbedingt zu fürchten – dieser Satz der Instruktion klang sehr nach Machiavelli. Offensichtlich hatte Soderini in den Gesandtschaftsberichten des Jahres 1506 nachgeschlagen.
An konkreten Maßnahmen hatte Machiavelli Ludwig XII. zweierlei vorzuschlagen: Der König solle seine engen Beziehungen zur Schweiz nutzen, um die Anwerbung von Söldnern für den Papst zu verhindern. Darüber hinaus biete es sich an, auf Zeit zu spielen. Julius’ Gesundheit galt als äußerst fragil; immer wieder zirkulierten Gerüchte, dass sein Ableben in allernächster Zeit zu erwarten sei. Die Hoffnung, dass sich bei geschickter Verzögerung der politischen und militärischen Abläufe das römische Problem auf natürliche Weise erledigen würde, schien daher berechtigt zu sein.
Als Machiavelli am 7. Juli 1510 in Lyon eintraf, waren diese Anweisungen zum großen Teil bereits Makulatur. In einer Reihe von Schreiben, die dem Geschäftsträger der Republik per Eilkurier nachgesandt wurden, teilten ihm die Dieci di Balìa schlechte Neuigkeiten gleich reihenweise mit: Julius II. verbündete sich mit Spanien, Venedig trat auf seine Seite, daraufhin drohte der Papst Florenz mit Repressalien, die Florentiner Kaufleute in Rom waren dadurch in akuter Gefahr! Die Konsequenz, die Machiavellis Auftraggeber aus diesen Hiobsbotschaften zogen, lautete: Ludwig XII. muss dringend etwas für uns tun! Sie empfanden sich als die Sündenböcke des Papstes, an denen er seinen Zorn auf Frankreich abreagierte.
Am 18. Juli hatte Machiavelli in Blois eine erste Unterredung mit dem König, der daraufhin direkt an die Florentiner Stadtregierung schrieb:
Wir haben heute Eure Schreiben durch Euren Sekretär Niccolò Machiavelli ausgehändigt bekommen und lange zugehört, was dieser uns von Eurer Seite auszurichten hatte. Dafür und für den guten Willen, die Liebe und Zuneigung, die Ihr für uns und unsere Angelegenheiten hegt, danken wir Euch ganz herzlich. So bitten wir Euch um der wahren Freundschaft und Treue willen, die von der Zeit unserer Vorgänger bis hin zu Euch und uns besteht: Schreibt uns und gebt uns zu verstehen, welche Hilfe, Begünstigung und Unterstützung Ihr uns zur Sicherheit und Verteidigung unserer Staaten gegen diejenigen, die diese stören und verletzen wollen, zukommen lassen wollt.[ 1 ]
Der Signoria muss es die Sprache verschlagen haben: Florenz bat in den dringendsten Tönen um Hilfe, und der König verlangte für sich Unterstützung von Florenz! Das war Ludwig XII., wie er leibte und lebte: Immer forderte er etwas von den anderen und machte ihnen ein schlechtes Gewissen! Diese Erkenntnis hatte Machiavelli schon einige Jahre zuvor gewonnen, aber die Florentiner hatten davon ja nichts wissen wollen.
Aus Machiavellis Sicht stellte sich dieselbe Unterredung vom 18. Juli folgendermaßen dar:
Ihre Majestät empfing mich äußerst freundlich und sagte mir, dass er sich Eurer Treue und Eurer Liebe sicher fühle, da er von Euch bereits viel Gutes und viel Gewinn empfangen habe … Und er sagte mir: Sekretär, ich habe keine Feindschaft mit dem Papst noch mit sonst jemandem. Aber da jeden Tag neue Freundschaften und Feindschaften aufkommen, bitte ich Eure Herren, mir postwendend mitzuteilen, was und wie viel sie für mich tun wollen, wenn der Papst oder sonst jemand meine Staaten in Italien stört oder stören will.[ 2 ]
In diesem Schreiben an die Dieci di Balìa klang die Dreistigkeit des Königs noch atemberaubender, zumal das bei Ludwig stets zu erwartende Kostenproblem zur Sprache kam. Im Klartext hieß das, dass Florenz zahlen sollte, und zwar für nichts und wieder nichts. Wenn der König leugnete, mit Julius II. ein Problem zu haben, so war das eine offenkundige Lüge. Doch das konnte Machiavelli natürlich nicht sagen. Seine unterwürfig vorgebrachte Replik, dass Florenz das Notwendige für den König und für sich tun werde, wurde von Ludwig XII. ungnädig aufgenommen: Er zweifle nicht daran, wolle diese Unterstützung jedoch extra zugesichert
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