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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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Republik erhob. Den Ehrgeiz des Volkes, so weiter Guicciardini, musste man hingegen so umlenken, dass er befriedigt wurde, ohne Schaden anzurichten. Das war die Sicht eines hoch begabten und äußerst ambitiösen Patriziers.
    Der Nicht-Patrizier Machiavelli hatte eine ganz andere Meinung zu diesem aktuellen Thema. Sein Poem forderte dazu auf, die Eigendynamik der unstillbaren menschlichen Gelüste in Rechnung zu stellen:
Kaum hatte Gott die Sterne geschaffen,
den Himmel, das Licht, die Elemente und den Menschen,
als Herren über so viele schöne Dinge
und den Hochmut der Engel bezähmt,
da wurde Adam im Paradies schon rebellisch,
zusammen mit seiner Frau, um den Apfel zu kosten.[ 18 ]
    Der Einleitung konnten selbst strenge christliche Theologen zustimmen. Sie durften an dieser Stelle einen Hinweis auf die Erbsünde erwarten: Adam und Eva hatten gegen das Gebot Gottes verstoßen und mussten nun wie alle ihre Nachkommen auf die unverdiente Gnade Christi hoffen, um erlöst zu werden. Doch bei Machiavelli ging die Geschichte vom Sündenfall anders weiter:
Als Kain und Abel geboren waren,
mit ihrem Vater und von ihrer Hände Arbeit
glücklich und zufrieden in ärmlicher Hütte lebten,
schickte eine verborgene Macht, die sich im Himmel nährt,
zwischen den Sternen ihr Spiel treibt,
den Menschen alles andere als wohl gesonnen,
zwei Furien auf diese Welt, um dort zu wohnen,
die uns des Friedens berauben, in Krieg stürzen
und alle Ruhe und alles Gute wegnehmen sollten.[ 19 ]
    Das Böse kommt also nach der Vertreibung aus dem Paradies in die Welt, doch nicht als Strafe für den Sündenfall und offenbar auch nicht von Gott. Welche «verborgene Macht» ( potenzia occulta) mit den Menschen ihr Unwesen treibt, lässt Machiavelli offen. Die gefallenen Engel sind ja schon als Teufel in der Hölle, die Dämonen der Unterwelt haben also ein Alibi. Machiavelli interessiert jedoch nicht die Herkunft, sondern das Wesen dieser beiden Furien und ihr Wirken unter den Menschen. Ihre Identität wurde schon in Vers 12 gelüftet: Sie heißen Ehrgeiz und Geiz (ambizione und avarizia). Auf Erden treten sie als schöne nackte Frauen auf und erscheinen dadurch vielen begehrenswert – Machiavelli wusste, wovon er schrieb. Ihre Gefährten sind Neid, Trägheit, Hass, Grausamkeit, Hochmut und Betrug. Das war Machiavellis ganz persönlicher Katalog der sieben Hauptlaster, die im Volksmund Todsünden hießen. Aus dem offiziellen Verzeichnis der Theologen hat Machiavelli nicht nur die Völlerei (gula), sondern bezeichnenderweise auch die voluptas, die sexuelle Gier, kurzerhand gestrichen. Offenbar schienen sie ihm im Verhältnis zu den zerstörerischen politischen Lastern, die er aufführt, nicht der Rede wert.
    Ambizione ist für Machiavelli die unstillbare Gier des Menschen nach mehr: nach mehr Ansehen, mehr Macht und mehr Genuss. Aus diesem Grund tötet Kain seinen Bruder Abel, und alle Nächstenliebe verschwindet aus der Welt. Avarizia ist der umgekehrte Trieb der Reichen und Mächtigen, die von ihren Schätzen nichts abgeben wollen. Beide zusammen bilden den Fluch, der über dem Menschen hängt: Er ist nie mit dem zufrieden, was er hat. Da dieser egoistische Trieb allen innewohnt, wird die Welt zum Schauplatz eines bellum omnium contra omnes, eines Krieges aller gegen alle.
    Doch Machiavelli hat noch mehr originelle Erklärungen zu bieten:
Wenn jedoch Ehrgeiz auftritt
mit wildem Herzen und bewaffneter Tatkraft,
dann braucht man eigenes Übel kaum je zu fürchten.
Wenn eine Gegend zügellos lebt
nach ihrer Natur, und dann, durch Zufall,
durch gute Gesetze erzogen und geordnet wird,
dann kehrt der Ehrgeiz gegen fremde Völker
die Wut, die er zuvor gegen die eigenen Leute
ohne Gesetz und Herrscher gewandt hat.[ 20 ]
    Ehrgeiz, gepaart mit Mut und der richtigen politischen Ordnung, macht stark; Ehrgeiz, kombiniert mit Verzagtheit, führt in den Ruin. Dieser Gegensatz wird in den nachfolgenden Versen auf Florenz und das übrige Italien bezogen. Vor allem Venedig zeigt die fatale Verbindung von Hochmut und Feigheit. Doch aus diesem negativen Beispiel lässt sich die richtige Lehre ziehen. Allerdings ist es für Florenz fünf vor zwölf. Ambizione in der zerstörerischen Ausprägung fliegt schon über die Hügel der Toskana:
Und er hat schon so viele Funken der Zwietracht ausgestreut
unter diesen Völkern, die mit Neid schwanger gehen,
dass er die Länder und Städte verbrennen wird,
wenn nicht Gnade oder eine gute Ordnung die Funken noch austritt.[ 21

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