Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
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Die Schlussverse des Gedichts sind eine Aufforderung zu Einheit und Geschlossenheit in letzter Minute. Dahinter stand eine mitleidlose Erkenntnis: Der Mensch ist von Natur aus egoistisch und aggressiv. Keine Macht der Welt oder des Himmels kann sein Wesen ändern, doch die Kunst des weisen Staatsmanns kann die Folgen dieser Destruktivität verwandeln, nämlich bündeln und in kriegerische Expansion ummünzen. Dann bleibt der wohlgeordnete Staat im Inneren stabil, weil er die übrige Welt mit Krieg überzieht. Erobern oder erobert werden: Das ist das Gesetz der Staaten, Krieg ihr Lebenselixier. Das war die Frucht der Erkenntnis, die Machiavelli aus seinen fruchtlosen diplomatischen Verhandlungen zog.
Das fatale Konzil
Nach seiner Rückkehr aus Frankreich war Machiavelli nur ein kurzer Aufenthalt in Florenz vergönnt. Die Florentiner hatten Pisa als Konzilsort zur Verfügung gestellt. Ludwig XII. rief – und so gut wie niemand kam. Selbst die Kirchenfürsten, die aus politischer Loyalität zu Frankreich kommen mussten, kamen nicht gerne. Das zeichnete sich schon vor Beginn der Versammlung ab. Die Florentiner hätten die Einberufung gerne rückgängig gemacht, doch damit hätten sie den französischen König vor den Kopf gestoßen. Die Pisaner, die nicht gefragt worden waren, waren alles andere als erbaut, vor der Christenheit als «Gastgeber» des conciliabulum dazustehen, einer schismatischen Verschwörung des Bösen, wie der offizielle Sprachgebrauch der Kurie lautete. Die Lage war für Florenz so verfahren, wie sie nur sein konnte. Wie immer in solchen Fällen musste Niccolò Machiavelli, der Mann für die schwierigen Fälle, sein Bündel schnüren. Sein Ziel war erneut der französische Hof.
Die Instruktionen, die ihm die Dieci di Balìa mit auf den Weg gaben, datieren vom 10. September 1511 und waren das indirekte Eingeständnis einer verfehlten Politik. Wie bei diplomatischen Missionen zu Ludwig XII. inzwischen üblich, war Machiavellis Mandat gestaffelt. Er sollte von oben nach unten verhandeln, mit den Maximalforderungen beginnen und dann so weit wie nötig nach unten gehen, ohne dabei die Minimalziele aus den Augen zu verlieren. Wenn irgend möglich, sollte er den König dazu bewegen, das Konzil, das unter so ungünstigen Vorzeichen begonnen hatte, einfach abzusagen. Da das dem Eingeständnis einer vollständigen Niederlage gleichkäme und daher höchstwahrscheinlich ein Wunschtraum bleiben würde, sollte er Ludwig XII. dazu überreden, die Kirchenversammlung an einem anderen Ort stattfinden zu lassen. Da eine solche Verlegung als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden würde, war auch diese Hoffnung ziemlich verstiegen. Die dritte, aus florentinischer Sicht nicht risikolose Option bestand darin, das Konzil zwei oder drei Monate lang in Pisa stattfinden zu lassen und dann zu transferieren – eine passende Begründung dafür würde der König schon finden. Die Minimalforderung, auf der Machiavelli unbedingt bestehen musste, bestand darin, dass die Kardinäle auf dem Weg nach Pisa nicht über Florenz reisen würden. So wäre die Stadtregierung von der peinlichen Pflicht entbunden, ihre ungebetenen Gäste feierlich zu begrüßen. Doch im Verhältnis zu den politischen Abenteuern, auf die man sich mit dem conciliabulum eingelassen hatte, war das ein schwacher Trost.
Andererseits musste man in Florenz noch nicht alles verloren geben. Die Franzosen hielten Mailand und Bologna. Zudem war kurz zuvor mit dem Herrn von Chaumont ein militärischer Befehlshaber gestorben, dem die Florentiner aufgrund ihrer Erfahrungen vor Pisa keine Träne nachweinten. Dem neuen Kommandanten Gaston de Foix hingegen wurden herausragende Führungsqualitäten nachgesagt. Alles kam jetzt darauf an, wie sich der König Florenz gegenüber verhalten würde. Im Streit mit Papst Julius II. war die Republik für ihn entweder ein nützlicher Alliierter, für den sich der Einsatz lohnte, oder ein potentielles Bauernopfer. Die Florentiner konnten nur das Beste hoffen.
Machiavellis erste Station auf dem Weg nach Frankreich war das Städtchen Borgo San Donnino zwischen Parma und Piacenza. Dort hielten sich vier der schismatischen Kardinäle auf. Und dort begann die Reise so erfolglos wie vorhersehbar. Machiavelli musste die Kirchenfürsten im Namen seiner Regierung bitten, ihre Reise nach Pisa nicht fortzusetzen. Auf dieses Ansinnen reagierten die Ausgeladenen mit den üblichen Floskeln: Die Republik Florenz habe gewusst, worauf sie sich
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