Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Zwischenzeit wendete sich das Blatt in Norditalien. Das päpstliche Geld und die Beredsamkeit Kardinal Schiners hatten wahre Wunder bewirkt. Ende Mai waren nicht weniger als 18.000 Schweizer Söldner in Verona kampfbereit. Zur selben Zeit berief Kaiser Maximilian die deutschen Landsknechte aus dem Heer Ludwigs XII. ab, das daraufhin jeglichen Halt verlor. Am 13. Juni 1511 gewannen päpstliche Truppen unter dem Herzog von Urbino, Julius’ Neffen, Bologna zurück. Tags darauf standen die Schweizer vor Pavia, das sich bald danach ergab. Und am 20. Juni zogen die Schweizer triumphal in Mailand ein, während die Reste der eben noch so ruhmreichen französischen Armee in Richtung Alpen flohen.
In Rom wurde Ende Juni ein Dankesfest nach dem anderen gefeiert: Gott selbst, so Julius II., hatte die Feinde der Kirche gezüchtigt und vertrieben. Bei allem Triumph vergaß der Papst auch die Rache nicht. Gegen Herzog Alfonso von Ferrara, der bis zum Schluss auf die französische Karte gesetzt hatte, wurde ein Prozess wegen Felonie eingeleitet, das heißt wegen Untreue gegen seinen Lehensherrn in Rom; in solchen Fällen konnte das Urteil nur auf Absetzung lauten.
Für Florenz waren das Flammenzeichen an der Wand. Zu entschlossenem Handeln konnten sich die Verantwortlichen in den folgenden, immer kritischeren Wochen trotzdem nicht aufraffen. Am 11. Juli 1512 kam der spanische Botschafter nach Florenz, um die Republik zum Beitritt zur Liga gegen Frankreich zu überreden. Dieses Angebot steigerte die allgemeine Ratlosigkeit weiter. Piero Soderini, das Staatsoberhaupt, votierte weiterhin für die französische Allianz, nicht zuletzt aus sehr persönlichen Gründen. Kurz zuvor hatte Julius II. seine Absetzung gefordert, bei einem Seitenwechsel musste der gonfaloniere das erste politische Opfer werden. Zudem fürchtete die einflussreiche Fraktion der Großhändler und Bankiers mit französischen Geschäftsbeziehungen die Repressalien Ludwigs XII. Doch auch diejenigen, die sich dem unzuverlässigen Monarchen nicht verpflichtet wussten und durch seine Ungunst nichts zu verlieren hatten, schreckten vor dem Übertritt auf die Seite des Papstes und Spaniens zurück. In diesem Fall stellte sich nämlich das Problem, was mit dem 1494 verbannten Zweig der Familie Medici zu geschehen hatte. Dass Julius II. für seinen Lieblingskardinal Giovanni de’ Medici günstige Bedingungen aushandeln würde, war zu erwarten. Doch welche? Eine Rückkehr als «Privatleute» konnte man dem Kirchenfürsten und den Seinen dann nicht mehr verweigern. Doch diese Rolle würden sie nicht lange spielen, wie man schon 1434 erlebt hatte. Die Medici hatten nicht nur viele Anhänger, sondern auch die Erinnerung auf ihrer Seite. Viele Florentiner aus der Ober- und der Mittelschicht färbten die Vergangenheit, speziell die Zeit Lorenzos des Prächtigen, inzwischen golden ein und sehnten sich in einer trüben, spannungsreichen Gegenwart nach der vermeintlich guten alten Zeit unter den Medici zurück.
Nach langen und kontroversen Debatten beschloss der Große Rat am 30. Juli 1512, den Mächten der Liga eine Summe von 25.000 bis 30.000 Dukaten dafür zu bieten, dass sie das governo largo unter ihren Schutz stellte. Damit sollten alle Verpflichtungen der Republik pauschal abgegolten sein. Das war Politik im schlimmsten Kaufmanns-Stil, wie Machiavelli schon zehn Jahre zuvor im Zeichen der Bedrohung durch Cesare Borgia ausgeführt hatte. In Situationen, die eine klare Entscheidung verlangten, konnte man sich nicht mit Geld freikaufen. Mit diesem faulen Kompromiss stieß Florenz Ludwig XII. vor den Kopf, ohne dessen Feinde für sich zu gewinnen.
Die Kapitulation
Zu dieser Zeit war Machiavelli als Kommissar der Republik erneut damit beschäftigt, Truppen für den Krieg zu sammeln, den seine Auftraggeber durch die Offerte an Spanien und den Papst zu verhindern suchten. Dabei hatte er unter derselben Knauserei zu leiden, die die Republik bei diesen Verhandlungen an den Tag legte. Soldaten werben, aber so sparsam wie möglich, so lauteten die Anweisungen der Dieci di Balìa vom 31. Juli 1512:
Du weißt ja, wie schwer unnötige Ausgaben wiegen, und wir rufen dir in Erinnerung, dass jede Ausgabe weniger ein Zugewinn ist, und dass du so wenig ausgibst, wie irgend möglich ist …[ 28 ]
Was Machiavelli von diesen Direktiven hielt, ist nicht bezeugt, doch unschwer zu vermuten: Selbst im Moment der höchsten Gefahr raffte sich diese Republik nicht zu größeren
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