Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
weg – gelobt sei der Name des Herrn, auch wenn dessen Wege unerforschlich waren.
Die politisch Verantwortlichen gaben jetzt alles verloren. Die Signoria bezahlte dem spanischen Vizekönig das Geld, das sie ihm drei Tage zuvor noch abgeschlagen hatte, um eine Plünderung wie in Prato zu verhindern. Darüber hinaus ließ sie die Medici in ihre Heimatstadt zurückkehren, als private Bürger, wie ausdrücklich betont wurde, doch wer wollte das schon kontrollieren? Daraufhin wollte auch Piero Soderini zurücktreten, doch wurde er von seinen Anhängern daran gehindert. Diese fürchteten die Rache der Medici-Anhänger, von denen zwischen dem 23. und 27. August auf Anweisung Soderinis eine ganze Reihe verhaftet worden war. Gab der gonfaloniere jetzt kampflos auf, musste man mit einer Vendetta rechnen, die ganz Florenz in einen Bürgerkrieg stürzen würde.
Am 31. August nahm eine Gruppe der weniger exponierten primi schließlich die Sache in die Hand. Sie zogen in den Stadtpalast, setzten die Freilassung der Gefangenen durch und eskortierten Soderini aus der Stadt hinaus. Geschah das zu dessen Schutz in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den Medici oder nur, um Blutvergießen zu verhindern?
Die Frage klingt unerheblich, doch sollte die Antwort darauf die Geschicke der Betroffenen, darunter Machiavelli, auf Jahre hinaus bestimmen. Die Medici, die vor den Stadttoren auf ihre feierliche Rückführung warteten, hatten ihre Späher in höchste Alarmbereitschaft versetzt und ließen sich alles haarklein berichten: Wer verhielt sich in der Stunde der Entscheidung loyal, neutral oder oppositionell? Waren die jungen Patrizier, die Soderini aus der Stadt hinauskomplimentierten, treue Parteigänger oder eher Fluchthelfer und damit Gegner? Zu denjenigen, deren Verhalten als uneindeutig eingestuft wurde, gehörte auch Paolo Vettori, der politisch äußerst aktive Bruder von Francesco Vettori, Machiavellis Vorgesetztem auf der Gesandtschaftsreise nach Deutschland. Francesco war der einzige verlässliche Freund, auf den der Chef der Zweiten Kanzlei in der Stunde der Not unter den primi zählen konnte. Der Bruder dieses Freundes aber war den Medici nicht unverdächtig und stand deshalb unter Bewährungsdruck. Dieser Druck übertrug sich zumindest teilweise auf Francesco Vettori, der daraufhin für seinen Freund Niccolò Machiavelli weniger tun konnte, als ihm lieb gewesen wäre. So waren die Verhältnisse im neuen Florenz beschaffen, in das die Medici unter dem Schutz des spanischen Vizekönigs zurückkehrten. Wer die Protektion der neuen Machthaber genoss, durfte sich sicher fühlen; für alle anderen brachen unsichere Zeiten an.
Machiavelli hätte in diesem neuen Florenz dringend Protektion benötigt. Am 7. November 1512 enthob ihn die neue, nun wieder von den Medici beherrschte Stadtregierung, mit harschen Formulierungen seiner Ämter als Chef der Zweiten Kanzlei und als Sekretär der Signoria. Mit ihm entlassen wurde sein treuer Büroleiter Biagio Buonaccorsi, nicht jedoch der Erste Kanzler Marcello Virgilio Adriani. Dieser durfte sein Amt bis zu seinem Tod im Jahre 1522 durch alle politischen Veränderungen hindurch behalten. Die Medici wussten, warum: Adriani hatte die nötige Geschmeidigkeit, um sich den neuen Machtverhältnissen anzupassen, Machiavelli hingegen wurde diese Flexibilität abgesprochen.
Rechenschaft im Zeichen des Scheiterns
Um diese Zeit legte Machiavelli seine Sicht der jüngsten Ereignisse in einem Brief an eine namentlich nicht genannte adelige Dame dar. Dieser Bericht zeichnet das Klima der Unsicherheit in Florenz zunächst sehr differenziert nach, um dann doch in massive Schuldzuweisungen zu münden: Piero Soderini war für Machiavelli im entscheidenden Moment ein Gefangener seiner Illusionen und ließ sich widerstandslos ausmanövrieren. Auch die Medici machen in dem Brief keine gute Figur:
Diese prächtigen Medici hielten es, nachdem sie von der Vertreibung des gonfaloniere erfahren hatten, nicht für angebracht, nach Florenz zurückzukehren, ohne sich vorher mit dem Vizekönig zu einigen – was ihnen nach einigen Schwierigkeiten denn auch gelang.[ 29 ]
«Prächtig» (magnifico) war der Titel, auf den die führende Familie von Florenz Anspruch erheben durfte, doch ist der zeremoniöse Ausdruck hier fraglos ironisch gebraucht: Schöne Sieger waren das, die sich erst nach ängstlicher Rückversicherung in die Heimat zurückwagten. Die Medici mussten sich Feigheit vor dem Freund vorhalten lassen. Sie
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