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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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des governo largo zur Folge hatte. Einsicht in eigene Fehler oder gar Selbstkritik waren Machiavelli fremd.
    Macht und Ohnmacht der Fortuna
    Den abgesetzten Zweiten Kanzler drängte es erneut, seine Erfahrungen nicht nur in politischen Reflexionen, sondern auch poetisch zu verarbeiten. Das erste der drei Sinngedichte über die Kräfte, die nach Machiavellis Ansicht die Geschichte und den Menschen bestimmten, verleugnet seine Nähe zum «Soderini-Brief» nicht. Es ist mit Giovanni Battista Soderini einem Neffen des ehemaligen gonfaloniere zugeeignet und handelt von der Glücksgöttin Fortuna, die der ganzen Familie des Widmungsträgers die kalte Schulter gezeigt hatte. Doch tritt gleich zu Beginn auch ein sehr persönlicher Bezug hervor:
Und die grausame Göttin möge unterdessen
ihre wilden Augen auf mich richten und lesen,
was ich jetzt über sie und ihr Reich berichte.[ 38 ]
    Ihre Rachegelüste sind in der Tat zu fürchten, denn Machiavelli hat von Anfang an nur Schlechtes über Fortuna zu sagen:
Schimpflich und schädlich,
wie sie hier verurteilt wird,
versammelt sie die ganze Welt zu Füßen ihres Throns.[ 39 ]
    Sie behandelt jedoch nicht alle gleich, sondern wählt sich ihre Feinde mit Bedacht:
Denn diese flatterhafte Kreatur,
pflegt sich dort mit größter Macht entgegenzustemmen,
wo sie die Natur am stärksten sieht.[ 40 ]
    Das war ein neuer Gedanke in Machiavellis Reflexionen zum Thema Glück. Bislang hatte er der römischen Maxime gehuldigt, dass Fortuna die Kühnen begünstigt. Dass sie sich stattdessen lustvoll gerade die Tapferen zu Gegnern macht, um sie durch die Niederlage umso tiefer zu demütigen, war eine Zuspitzung, in der Machiavelli seine eigene Erfahrung und zugleich seine Zukunftserwartung zusammenfasste. Das machte schon die stolze Aufforderung deutlich, dass sich Fortuna nicht an Soderini, sondern am Dichter selbst rächen solle. Diesmal hast du gesiegt, so ruft der Dichter der Glücksgöttin zu, doch damit ist noch nichts entschieden – auf ein Neues! Denn auch eine Göttin kann ihre Macht überschätzen:
Und ihre Herrschaft ist immer gewalttätig,
wenn höchste Tatkraft sie nicht in die Schranken weist.[ 41 ]
    Höchste Tatkraft, virtù, ist erforderlich, weil selbst Jupiter, der höchste Gott, diese Göttin von unklarer Abkunft fürchtet. Nicht zuletzt deswegen lässt er ihr auf Erden freie Hand:
Und die Räder des Glücks drehen sich Tag und Nacht,
denn der Himmel, dem niemand widersteht, will,
dass Faulheit und Notwendigkeit um sie kreisen,
die erste verdirbt, die zweite ordnet die Welt.[ 42 ]
    Durch diese Anordnung zeigt der Himmel zugleich, wie man Fortuna bezwingen kann. Die Glücksgöttin hält Macht, Reichtum und Ehre als Lohn für diejenigen bereit, die ihr huldigen, während sie über ihre Feinde Schande und Elend ausschüttet. Doch die Gesetze der Politik kann sie nicht verändern. So weit reicht ihre heimtückische Macht nicht, hier liegt ihre Achillesferse. Sie kann den Menschen nach Belieben erhöhen oder stürzen, doch dessen Wesen nicht verändern. Wer wie Machiavelli die ewig gültigen Regeln der Geschichte entdeckt hat, muss damit rechnen, dass sie ihn aus Rache besonders heftig beutelt. Mag er auch persönlich zum Spielball Fortunas werden, besiegt hat er sie dennoch. Denn er hat der Welt gezeigt, wie sie der Glücksgöttin das Handwerk legen kann.
    Für die Feinde Fortunas ist das der einzige Trost auf Erden. Der perfekt geordnete Staat kann das launische Glück ausschalten, doch zahlt er dafür einen hohen Preis: Die wütende Fortuna rächt sich und geht über Leichen. Der Staat, der über sie triumphieren will, muss daher von seinen Dienern die Bereitschaft zur Selbstaufopferung fordern:
So sieht man schließlich, dass in den vergangenen Tagen
wenige glücklich waren, und diese starben,
bevor sich das Rad rückwärts drehte
und sie mit in den Abgrund zog.[ 43 ]
    Mit welchen Methoden man den Kampf gegen Fortuna erfolgreich besteht, wird hier nur ganz allgemein gesagt: virtù in höchster Potenz ist erforderlich. Was alles virtù ausmacht, zeigt das zweite Gedicht «Von der Gelegenheit». Gewidmet ist es Filippo de’ Nerli, dem Schwiegersohn Jacopo Salviatis. Dieser trat im August und September 1512 für eine Herrschaft der Medici in möglichst moderaten Formen ein und votierte für Milde gegenüber den Anhängern des gestürzten Regimes. War die Zueignung an Salviatis engsten Gefolgsmann ein Wink Machiavellis mit dem Zaunpfahl? Mit gerade einmal 22 Versen ist das Nerli

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