Macho-Mamas
Sondern auch, weil das schlechte Gewissen und sein Nichtvorhandensein im Vaterhirn der Grund dafür ist, warum die Vereinbarkeitsfrage Vasella und Ackermann nicht quält.
Die Gewissensfrage
Dem mütterlichen schlechten Gewissen ist Macho-Mama das erste Mal schon als Schulmädchen begegnet. Und zwar in Form eines Schlüssels, den es nicht um den Hals tragen durfte. Sie sollte nämlich keins dieser armen Schlüsselkinder werden, die nach dem Heimweg von der Schule die Tür aufschließen und die Wohnung leer vorfinden. Keine Mutterseele, die wartet, sondern bloß ein Apfel zum Zvieri. Da ihre Mutter aber trotzdem arbeiten wollte, suchte sie sich eine Stelle, an der sie erst am frühen Abend zum Einsatz kam, so dass der Vater bereits vom Geschäft zurück war, bevor sie Heim und Herd verließ. Die wenigen Male, als sie früher losmusste, überbrückte die Nachbarin die halbe Stunde. Macho-Mama hätte gern einen Schlüssel um den Hals getragen, so wie ihr Freund Reto, bei dem sie auch hin und wieder den Apfel zum Zvieri ohne mütterliche Aufsicht aß. Sie hielt den Schlüssel an der Kette für ein Zeichen der Reife, und ihr wollte partout nicht einleuchten, weshalb ihre Eltern ihr zwar zutrauten, nachts im Dunkeln allein im Bett zu liegen, wenn sie manchmal ausgingen, aber nicht am Nachmittag die Tür allein aufzuschließen. Ein Paradox, das sie als Schulmädchen in die Schublade der schwer nachvollziehbaren Erwachsenenlogik versorgte.
Sie ahnte eben damals noch nichts von der Macht des schlechten Gewissens. Macho-Mama wusste nichts von der Ölkrise, die 1973 weltweit die Arbeitsplätze dezimierte und in den folgenden Jahren die Frauen zurück an den Herd drängte. Sie wusste nicht, dass Schlüsselkinder in der Erziehungswissenschaft plötzlich zu Problemkindern avanciert waren, die nachmittagelang vor der Glotze hingen, wo sie sich die Zähne mit Süßigkeiten ruinierten und sich geistig schon mal auf eine Karriere als Kleinkriminelle vorbereiteten. Sie ahnte auch noch nichts von der Gestaltungskraft, die man den Müttern im Zuge der Rückkehr des Naturalismus gerade andichtete – zumindest im häuslichen Bereich, aus dem sie sich ja zu entfernen drohten. Und von der Angst, die diese Gestaltungskraft auslöste und die ihre Mutter quälte, weil hinter jedem Schulversagen ein Schlüsselkind und hinter jedem Schlüsselkind eine Rabenmutter steckte.
Heute wissen wir, dass das Wort «Schlüsselkind» im Hirn unserer Mutter eine ähnliche Wirkung hatte wie das Wort «Karrieremutter» in unserem: die der Zensur. Aus lauter Angst, keine guten Mütter zu sein, falls sie die Kinder nach der Schule allein ließen, schränkten die meisten Mütter ihre Arbeitspläne massiv ein. Es war das Mutterbild, vor dem sie sich fürchteten, nicht das Alleinlassen der Kinder. Deshalb konnten sie öfter mal mit den Vätern abends ausgehen, nachdem die Kinder im Bett waren, ohne dass sich das schlechte Gewissen meldete. Es gehörte einfach zur bürgerlich-individuellen Freiheit in den Siebzigern.
Das schlechte Gewissen, mit dem sich moderne Mütter weltweit quälen, ist also keine individuelle, sondern eine gesellschaftliche Zensur, die jedoch als persönliche moralische Bremse empfunden wird und auch so funktioniert. Eine befreiende Erkenntnis eigentlich, doch leider begreift der Kopf schneller als das Herz. Oder in den Worten der Soziologin Mary Blair-Loy: «Anders als Väter erwarten Mütter nicht nur im Büro klarformulierte Erwartungen, sondern auch zu Hause. Solche kulturellen Anforderungsprofile lassen sich so schnell nicht ändern.»
Die Amerikanerin lehrt an der Universität von Toronto und hat ein preisgekröntes Buch über den Rabenmutter-Komplex geschrieben: Competing Devotions: Career and Family among Women Executives (2003). Ihre Erkenntnisse aus diversen Befragungen von Müttern in Führungspositionen helfen, das schlechte Gewissen in seine Bestandteile zu zerlegen und so zu entschärfen. Mary Blair-Loy wollte herausfinden, warum Mütter sich umso schlechter fühlen, je mehr arbeitsbezogene Mails und Anrufe sie an ihren Familientagen bekommen. Wohingegen der Übergriff des Büros auf die Gefühlslage der Väter keinen Einfluss hat. Sie fragte sich, ob die emotionale Destabilisierung der Mütter auf eine Überforderung zurückzuführen ist, konnte aber nichts dergleichen finden. Im Gegenteil zeigten sich die Mütter als mindestens so effizient und erfolgreich in der Bewältigung der beiden Sphären wie die Väter. Nur
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