Macho Man: Roman (German Edition)
Freude entgegengenommen werden.
»Oh Vallaha, die sind unheimlich schön. Ich habe noch nie so schöne Blume gesehen! Guck mal, Aylin, die sind Vallaha wunderschön. Das wäre normal nicht nötig, aber Vallaha, ich freue mich, die sind unglaublich schön, Vallaha, die schönste Blume. Noch nie habe ich so schöne Blume bekommen.«
Jetzt erhalten meine verdutzten Eltern erneute Küsse von Aylins Mutter, diesmal sind es je vier. Daraufhin werden wir ins Wohnzimmer gebeten, wo der tischtennisplattengroße Esstisch unter Beweis stellt, dass er wirklich stabil gebaut ist, denn auf ihm türmt sich mehr Essen, als ich je zuvor gesehen habe. Obwohl ich vom letzten Mal ja einiges gewohnt bin. Auch nur ansatzweise alles aufzulisten, was hier vor mir steht, würde mindestens zwanzig Seiten in Anspruch nehmen – und ein derartiger Papierverbrauch ist umweltpolitisch nicht zu verantworten. Ich blicke mich kurz um, ob jemand vom Guinnessbuch da ist, denn offenbar handelt es sich hier um einen Rekordversuch.
Dass Aylins Eltern diesen Besuch wirklich wichtig nehmen, zeigt sich daran, dass sie den Fernseher auf lautlos gestellt haben – eine Ehre, die in der Türkei nur hohen Staatsgästen gewährt wird. Einen Aus-Schalter besitzen türkische Fernsehgeräte bekanntlich nicht.
Ich setze mich direkt an den Tisch, während mein Vater zur großen Überraschung von Herrn Denizoglu beim Tellertragen helfen will. Was natürlich abgelehnt wird – im Gegensatz zum Hilfsangebot meiner Mutter.
Als alle Männer am Tisch Platz genommen haben, bemerke ich das Unwohlsein meines Vaters, der es nicht gewohnt ist, von Frauen bedient zu werden. Ich dagegen finde es inzwischen klasse und seufze zufrieden, während ich mir eine erste schrumpelige Olive in den Mund schiebe. Als mein Vater mich tadelnd ansieht, kläre ich ihn auf:
»Jeder isst in seinen eigenen Magen.«
Herr Denizoglu stimmt mir lachend zu und haut mir diesmal – zum Glück – auf die gesunde Schulter. Mein Vater ist von dieser männlichen Verbrüderung irritiert und überreicht in einer Übersprungshandlung Aylins Vater das Buch. Herr Denizoglu packt es aus und schaut es sich interessiert an, während mein Vater es anpreist:
»Ein hervorragender Insiderbericht über die Machenschaften beim türkischen Militär. Der Autor bringt Misshandlungen und Korruption in gigantischem Ausmaß ans Tageslicht. Hochinteressant.«
Aylins Vater lässt das Buch fallen wie eine heiße Kartoffel beziehungsweise wie heißes Fladenbrot und schiebt es zur Seite.
»Alles Lüge.«
Nun schaut mein Vater überrascht. Er hat nicht damit gerechnet, dass das Thema von Herrn Denizoglu so gründlich vorrecherchiert wurde.
»Äh ... Wollen Sie damit andeuten, dass dem Autor möglicherweise bei seinen Enthüllungen sachliche Fehler unterlaufen sind?«
»Ja. Alles Lüge. Westeuropäische Propaganda.«
»Aber, äh, mit Verlaub, was hätte Westeuropa denn für ein Interesse, das türkische Militär zu verunglimpfen?«
»Ist doch klar: US Army und türkisches Militär sind beste Armeen von Welt. Westeuropa hat Angst, dass irgendwann Türkei und USA teilen sich Europa auf.«
»Aaah ja. Eine ... äh ... interessante Hypothese.«
»Wer hat Hypothese?«
»Na, Sie.«
»Ich?«
»Ja.«
»Was wollen Sie damit sagen, ich habe Hypothese?«
»Naja, was Sie gesagt haben, äh ...«
»Ich hatte nie Hypothese. In meine ganzes Familie hat es nie gegeben Hypothese.«
Die Stimmung ist angespannt. Als Aylin das mitbekommt, geht sie schnell dazwischen.
»Papa, eine Hypothese ist eine Vermutung.«
»Ach so. Ich dachte, Hypothese ist Geisteskrankheit.«
Jetzt sind auch die letzten freien Millimeter des Tisches mit Lebensmitteln gefüllt, und die Frauen nehmen Platz. Aylins Mutter schaufelt meinem Vater den Teller voll, während meine Mutter sichergehen will, dass sie keinen Fehler macht:
»Entschuldigung, sprechen Sie ein Tischgebet?«
Jetzt denkt Aylins Mutter, sie habe einen Fehler gemacht – was zu einem interkulturellen Glaubensdiskurs mit meiner Mutter führt:
»Oh, 'tschuldigung, Frau Hagenberger. Wollen Sie Tischgebet sprechen?«
»Nein, wir sind Atheisten. Ich dachte nur, Sie würden vielleicht ...«
»Nein, wir nicht.«
»Okay.«
»Atheisten? Ist das so was wie Evangelisch?«
»Nein, Atheisten sind ... Also, wir glauben nicht an Gott.«
»Oh. Aber an Allah.«
»Nein, auch nicht an Allah.«
»Aber an was glauben Sie denn?«
»An das, was man beweisen kann.«
»Aber wenn man kann beweisen, dann
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