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Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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nach Bier. Das Zeitalter der Wunder ist schon vor meiner Geburt zu Ende gegangen. Ich goss mir etwas Wodka ein. Zigaretten fanden sich erst im Wohnzimmer. Die Packung war derart zerknautscht, als hätte sie die ganze Nacht hindurch mit Tschikatilo Lambada getanzt.
    Über den Bildschirm des Fernsehers krochen graue Streifen. Edik saß mit hochgezogenen Beinen im Sessel. Rauchte und kaute auf den Lippen. Auf seinem Gesicht glühte rot der Abdruck von Swetas Hand.
    »Du gehst schon?«
    »Ja. Ich gehe.«
    »Vielleicht trinkst du noch was? Sonst löst sich hier ja alles auf.«
    »Ich hab grad erst. Mach‘s gut, Edik!«
    Ich drehte mich um.
    »Hast du Wolodja gesehen? Ich will mich verabschieden.«
    »Irgendwo da drüben.«
    Als ich am Bad vorbeiging, hörte ich Wasser rauschen. Sie merkten nicht, dass ich die Tür öffnete. Sweta kauerte auf dem Boden. Schutt rieb ihr mit einem nassen Handtuch das Blut von Gesicht und Brust ab. Er war immer noch betrunken und schwankte leicht.
    »Aber was hast du denn, Swetik? Was hast du denn? Wein doch nicht ... Du weißt doch ... Nicht doch ...«
    »Ich hör schon auf – sofort. Ich weine nicht mehr ...«
    »Du bist mein Schätzchen, mein Pfannküchlein, mein Zuckerplätzchen. Ja, Swetka?«
    Sweta hob ihre verweinten Augen zu ihm empor.
    »Ja.«
    »Mein Pfannküchlein-Zuckerplätzchen, ja?«
    »Ja ... Pfannküchlein, Zuckerplätzchen ... Ich danke dir ...«
    Er beugte sich mit deutlicher Schlagseite hinunter und küsste sie auf den Scheitel.
    »Swetka ... Du weißt doch ...«
    »Ich weine gar nicht mehr ... Und du – bist mein Zuckerplätzchen ...«
    Ich schloss die Tür vorsichtig wieder und verließ die Wohnung. An diesem Tag, gegen Abend, fiel der erste Regen in diesem Sommer.

Dritte Geschichte
Von Hunger – und von
Todesqualen
    W ohin sollen wir gehen, ey? Was ist hier in der Nähe, ey?«
    »Was du willst! Hier gibt‘s alles! Wie wär‘s mit dem ›Metro‹?«
    »Nee, in einen Club will ich nicht. Gehen wir irgendwohin, einen trinken.«
    »Bloß trinken? Und wie ist‘s mit Tanzen?«
    »Gehen wir in die ›Truhe‹? Janet, kommen Sie mit in die ›Truhe‹?«
    Ich kannte dieses Lokal.
    Die »Truhe« war eine von den Bars, deren Besitzern das Geld für Live-Musik fehlt und die ihre Besucher mit anderen Mitteln unterhalten müssen. Zum Beispiel fängt der Barkeeper, der nur einen halben Meter von Ihnen entfernt steht, plötzlich an, per Megafon mit Ihnen zu sprechen. Oder Sie entdecken in der Toilette statt Toilettenpapier eine zerknüllte Zeitung (»Für die Altgläubigen«) und eine Rolle Schmirgelpapier (»Für die Liebhaber intensiver Gefühle«). Über dem Klobecken hängt eine »Liste der Personen, denen es erlaubt ist, die Brille nicht hochzuklappen«. Als Nummer acht firmiert die Venus von Milo.
    Sologub versicherte, dass es uns gefallen werde.
    »Ist es weit?«
    »Aber nein! Nur eine Viertelstunde zu Fuß.«
    »Ja, Schannotschka ... Es wird uns gefallen. Gehen wir – zu Fuß.«
    Felix beugte sich zu der Australierin, als wolle er ihr die Hand küssen. Wenn er getrunken hatte, spielte er immer den galanten Kavalier.
    »Ich heiße nicht Schanna, sondern Janet. Das ist ein anderer Name.«
    * * *
    Dieser Herbst bestand aus nichts als Wahlen. Die Regierung sollte komplett abgelöst werden. Auf der Dworzowaja wurde jede Woche ein Konzert gegeben, um irgendwen zu unterstützen. Alle wollten dabei möglichst schnell möglichst viel verdienen. Sologub erzählte, dass einer von den Kandidaten ihm fünfhundert Dollar geschickt hatte, damit er NICHT über ihn schreibe. »Stell dir vor, wie viel sie mir zahlen, wenn ich mich doch an den Computer setze!« Ich sagte, dieser lausige Kandidat solle mir einen Hunderter geben, dann würde ich schwören, niemals im Leben wieder seinen Namen zu erwähnen.
    Mir bot natürlich niemand Geld an. Die Zeitung, für die ich schrieb, war winzig. Ich hatte den Verdacht, dass sie sofort nach den Wahlen dicht machen würde. Um mir eine Akkreditierung fürs Smolny zu verschaffen, schwitzte und ackerte der Redakteur zwei Wochen lang. Jetzt arbeitete ich meinen Minilohn ab. Ich pendelte zwischen Pressezentrum und Smolny, trank Kaffee und rauchte am Tag anderthalb Schachteln Zigaretten. Was war ich schon für ein politischer Journalist? Alle sensationellen Einzelheiten meiner Reportagen schöpfte ich aus den Gesprächen mit Sologub.
    Er war ein netter jüdischer Junge. Ein bisschen störend war höchstens seine ewige Unrasiertheit. Wahrscheinlich

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