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Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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über beide Ohren in die Arbeit zu stürzen, und nicht wusste, womit er sich sonst beschäftigen sollte. Zuerst merkte er, dass er zu viel rauchte. Morgens kaufte er eine Schachtel Zigaretten, und mittags war sie schon leer. Mit dem Verstand begriff er noch nicht, was vor sich ging, aber sein Körper spielte ohne sie schon verrückt.
    Im Fernsehen erzählte ein breitmäuliger Staatsbeamter, wie glücklich er mit seiner Staatsbeamtenfrau lebte, und der junge Mann wusste, dass er auch so ein Leben führen könnte. Er schaute sich billige Krimis an und verstand nicht, wozu diese logisch denkenden, durchtrainierten Kerle sich abhetzten, wenn sie doch ohne SIE lebten? Was war der Sinn ihrer Hetze? Sting sang, dass er sich an jeden Seufzer erinnere – an jede Bewegung – an jede Tasse, die seine Frau Francis Tomelty zerschlagen habe, und der junge Mann wusste WIRKLICH, was er meinte. Und wenn im Radio die Musik gespielt wurde, die sie zusammen gehört hatten, dann flimmerte es ihm vor den Augen, und sein Körper unter dem T-Shirt schrumpfte zusammen wie ein Bratapfel.
    Schon am vierten Tag lief er, leer vor Verzweiflung, durch die Wohnung, stellte sich vor, was sie jetzt tat, und hätte am liebsten laut geheult. Er konnte nicht arbeiten, konnte nicht aus der Wohnung gehen, konnte nicht essen. Entschuldigen Sie diese Details, aber auch sein Magen streikte, und innerhalb einer Woche verlor er mehrere Kilo Gewicht. Er achtete auf alle möglichen Vorzeichen, horchte: Wollte ihm das Weltall nicht irgendein Geheimnis verraten? Seine Hände zitterten. Tagelang saß er vor dem Computer und legte Patiencen. Wenn sie aufgeht, sagte er sich, bedeutet das, das Mädchen ruft heute noch an – jetzt gleich. Er verlor riesige Summen an seinen eigenen Computer, aber sie rief nicht an.
    Er saß im »Tribunal« und sah zu, wie schön die hoch gewachsenen jungen Männer tanzten. Sie hatten modische Frisuren, englische Pullover und männlich-markante Kinne. Wahrscheinlich saß sie jetzt auch irgendwo, schaute sich ebensolche appetitlichen Männchen an und begriff, dass er für sie nicht der Beste war, so wie sie für ihn die Beste war. In ihrem zweiten Herbst war er seiner selbst gar nicht sicher. Ein widerliches Gefühl, so wie ein schneidend-peinlicher Schmerz beim Wasserlassen.
    Vor Schreck kniff er die Augen zusammen und bestellte sich den stärksten Alkohol, gleich eine ganze Menge auf einmal. Es kam ihm vor, als könne er sich gar nicht mehr betrinken. Einen Augenblick später fuhr er mit zwei Usbekinnen in ein Wohnheim auf der Wassili-Insel. Die Usbekinnen hatten vorstehende Zähne und die gleichen dummen Gesichter. Zuerst war es ihm egal, aber dann verdrückte er sich doch lieber, versuchte, sich ein Taxi zu schnappen, aber es hielt ein Trolleybus. Haben Sie sich schon einmal nachts auf der Straße einen Trolleybus geschnappt? Er war der einzige Passagier in diesem riesigen, dunklen Trolleybus. Ein paar Straßen von seinem Haus entfernt hörte die Oberleitung auf, und er stieg aus. Trotzdem wachte er zwischen zwei Mädchen auf, eingezwängt wie eine Frikadelle zwischen zwei Hamburgerhälften. Mit einiger Mühe kroch er heraus, auf die Kante des schmalen Bettes, merkte, dass er gründlich betrunken war, und zündete sich eine Zigarette an.
    Dann saß er auf den Stufen einer Rolltreppe und fuhr irgendwohin. Gesichter flogen in Schwärmen vorbei. Er konnte den Verlobungsring seiner Frau verkaufen und für das ganze Geld den Pennern Schawerma kaufen. Oder dem Redakteur, den er um eine gut bezahlte Arbeit bitten wollte, auf den Tisch kotzen. Er war wieder ein Kind, das die scharfen Ecken des Lebens erforscht, indem es die Finger in die Steckdose steckt. Dem Trinken von Alkohol am Morgen haftet nach gängiger Ansicht etwas Kriminelles an. So wie Sex mit der eigenen Schwester zu haben oder nach dem Dessert Suppe und scharfes Fleisch zu essen. Wenn man nur drei Stunden geschlafen hat, darf man den Tag nicht mit zweihundert Gramm Tequila in einem Bistro am Moskauer Bahnhof beginnen. Aber er tat es und wunderte sich: Warum darf man es nicht?
    Ein Mensch, der schon am Morgen trinkt, weiß: Der Rausch kommt und geht in Wellen. Wir beide, Sie und ich, kennen den Rhythmus dieser Brandung! Der erste Schluck, der allerschönste, der sich im Gehirn entfaltet wie die Blüte einer Orchidee. Die vierte Flasche Bier, nach der du weißt, jetzt kehrst du nicht mehr an den Schreibtisch zurück, du widmest den Abend dem Alkohol. Die zwölfte Flasche, nach

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