Mach's falsch, und du machst es richtig
täuschen. Höchste Zeit also, nach Wegen zu suchen, um diese vertrackte Sache wenn schon nicht aufzulösen, so zumindest zum eigenen Vorteil zu nutzen.
Weil uns die Gewohnheit, die eigene Selbständigkeit um jeden Preis zu stabilisieren, so berechenbar macht, können wir sie im eigenen Interesse nutzen. Wie, davon soll hier die Rede sein.
Sagen Sie den anderen, was sie alles
nicht
können, um sie zu motivieren: Es soll ja Menschen geben, die gewisse Vorbehalte gegen Ratschläge haben. Wenn wir es genauer bedenken, haben sie damit sehr recht. Denn wer anderen sagt, was sie besser machen könnten, signalisiert ihnen zugleich, daß ihre bisherige Performance zu wünschen übrigläßt. Wir kritisieren sie – indirekt, aber unmißverständlich. Ratschläge stören also unser Ich, das daraufhin versucht, in seinen ursprünglichen Zustand der Ruhe zurückzukehren. Wie wir weiter oben gesehen haben, definiert der konkrete Kontext, auf welchem Weg unser Ich das zu erreichen versucht. Im Fall von Ratschlägen wie «Du solltest wirklich mehr Sport treiben» handelt es sich um einen Angriff auf unsere bisherige Lebenspraxis; daher bleibt unserem Ich nur eine Möglichkeit, seine Autonomie zu beweisen: den Ratschlag abzuwehren. Indem es ihn überhört oder indem es etwas Gegenteiliges tut. Ganz so, wie das Walter Moers in seinem Roman «Ensel und Krete» [84] geschildert hat: «Der Stollentroll winkte zurück und sah den beiden traurig nach, bis sie zwischen den Bäumen verschwunden waren. Dann hellte sich seine Miene auf. Er legte sich der Länge nach ins Gras. ‹Kähähä›, meckerte er, während er anfing, mit seinen langen gelben Fingernägeln im Waldboden nach Würmern zu wühlen, ‹Kinder tun immer genau das Gegenteil von dem, was man ihnen empfiehlt …›.» Das einzige, das an dieser These nicht stimmt, ist, daß sie sich auf «Kinder» beschränkt. Es gibt jede Menge Hinweise darauf, daß wir die Formulierung geringfügig erweitern sollten und zwar auf «Kinder und alle anderen menschlichen Lebewesen».
Weil ich davon ausgehe, daß ich in diesem Augenblick auch gegen Ihren wachsenden Widerstand anzukämpfen habe, weil ich dabei bin, Ihnen ein paar ungebetene Tips zu geben, werde ich gleich auf jenen «Nicht-Modus» umschalten, den ich Ihnen schon die ganze Zeit näherbringen will. Dieser Modus zeichnet sich dadurch aus, daß man seine schlauen Empfehlungen in Form negativer Befunde bzw. pessimistischer Prognosen formuliert. Also zum Beispiel sagt: «Es mag ja gesund sein, regelmäßig Sport zu treiben, aber es ist nicht zu schaffen. Viel zu aufwendig! Niemand hat so viel Zeit, sich mindestens zweimal die Woche zu bewegen. Ich kann jeden verstehen, der das nicht schafft.»
Eine solcherart formulierte Nicht-Empfehlung hat den entscheidenden Vorteil, daß unser Ich dadurch zwar ebenfalls aus der Ruhe gebracht wird, aber deutlich produktiver als durch ein «Jetzt mach doch endlich mehr Sport!»-Ultimatum. Der Grund: Wir eröffnen unserem Gegenüber durch diesen auf kluge Weise negativ formulierten Ratschlag zwei Optionen, und beide befördern die gute Sache. Sollte der andere keine Lust bzw. keine Zeit haben, sich ein paar Sportschuhe zu besorgen und loszulegen, kann er uns zustimmen und sagen, für einen vielbeschäftigten Menschen wie ihn sei es tatsächlich nicht zu schaffen. Womit die Sache zur allgemeinen Zufriedenheit abgehakt wäre: Wir haben einen Tip gegeben, der andere hat ihn abgelehnt, alle Beteiligten fühlen sich wohl (eine wichtige Voraussetzung für die nächsten guten Nicht-Tips). Unser Gegenüber hat aber noch eine zweite Möglichkeit zu reagieren: «Was? Das soll nicht zu schaffen sein? Unsinn! Irgendwie müßte sich das doch machen lassen» sagen, ins Sportgeschäft gehen – und dort zumindest ein Paar Schuhe kaufen. Doch Obacht! Negation ist nicht gleich Negation. Es gibt weniger hilfreiche und überaus nützliche Fälle. So hält sich der Effekt einer Aussage wie «Paß auf, daß du nicht runterfällst!» in engen Grenzen. Darin rufen wir im anderen bloß das Bild des Scheiterns hervor – auch wenn wir es negieren mögen.
Eine ganz andere Wirkung hingegen entfalten Sätze wie der folgende: «Niemals schaffst du es, aufrecht und sicher bis ans andere Ende der Mauer zu balancieren!» Darin zweifeln wir zwar daran, daß der Angesprochene das schafft, zugleich aber erzeugen wir in dessen Vorstellung das Bild eines aufrecht und sicher über eine Mauer Balancierenden. Unter diesem Blickwinkel
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