Mach's falsch, und du machst es richtig
Selbständigkeit wieder zu stabilisieren, gar nichts mit. Was sie nur um so effektiver und unberechenbarer macht.
Es reagieren also nicht nur Einzelpersonen sehr sensibel, wenn man man sie mit provokanten Theorien konfrontiert – auch größere Gruppen von Menschen lassen sich in Bewegung setzen; sie bilden gleichsam ein kollektives Ich und suchen nach Möglichkeiten, es zu stabilisieren. So haben zum Beispiel nicht die Siege der US -amerikanischen Fußballmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Südafrika dafür gesorgt, daß sich die Öffentlichkeit in den USA für diese (für sie nach wie vor exotische) Sportart zu interessieren begann, sondern das Gegenteil davon – die verhinderten Siege. Matthias Rüb hat diesen Mechanismus im Sportteil der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung
sehr anschaulich beschrieben [82] : «Dass den Amerikanern in den aufeinanderfolgenden Spielen gegen Slowenien und Algerien gleich zwei Tore wegen falscher Abseitsentscheidungen der Schiedsrichter aberkannt wurden, hat nicht nur das Interesse an dem globalen Ereignis gesteigert. Es hat auch ein nationales Empfinden hervorgerufen, ungerecht behandelt, ja betrogen worden zu sein. Als ob es die Welt nicht zulassen sollte, dass das mächtigste Land der Erde, das bei Olympischen Sommer- wie Winterspielen stets zu den Nationen mit den meisten Medaillen gehört, auch noch im Fußball zu einer Weltmacht aufsteigt.»
So unterschiedlich diese Beispiele auch sein mögen, in einem sind die handelnden Personen einander gleich: Sie waren stets in der Lage, Auskunft über ihr Treiben zu geben; über das Warum, Wann und Wie. Vielleicht nicht alle und nicht ständig, aber zumindest die Hauptakteure wußten, was sie da taten. Von ganz anderer Qualität ist das Verhalten der Menschen im abschließenden Beispiel. Es zeigt, daß wir mitunter unsere Autonomie verteidigen, ohne es zu ahnen, wie wir in der aktuellen Studie von drei Marketing-Professoren sehr anschaulich vorgeführt bekommen. [83] Darin untersuchten sie zweierlei: wie bestimmte Marken auf die Einstellung von Kunden wirken und welche Wirkung einzelne Werbesprüche haben. Das Ergebnis: Nennt man den Menschen bloß den Namen eines Supermarkts wie «Wal-Mart», den sie mit Geldsparen assoziierten, dann verhielten sie sich auch dementsprechend und sagten, sie würden anschließend tatsächlich wenig Geld ausgeben. So weit, so plausibel. Konfrontiert man aber Menschen mit dem Slogan der Marke Wal-Mart, «Save money. Live better», sei es mit dem Sparen nicht nur vorbei, die Menschen verhielten sich auch genau gegenteilig: Sie würden markant mehr Geld ausgeben, sagten sie; die Studie spricht von doppelt soviel.
Die drei Wissenschaftler erklären dieses widersprüchliche Verhalten damit, daß Menschen einen Markennamen nicht als Überredungstaktik wahrnehmen – Slogans hingegen schon, da diese eine Handlungsaufforderung enthielten. Wollen wir das Phänomen im Sinne dieses Kapitels übersetzen, könnten wir sagen: Die Menschen verstehen die Versuche, sie mit simplen Werbesprüchen zu manipulieren, als Irritation ihres Selbstbilds als autonome Subjekte und versuchen, es wiederherzustellen, indem sie sich exakt konträr verhalten. Ganz nach dem Motto: «Für wie doof haltet ihr mich eigentlich? Wenn ihr mir sagt, ich soll sparen, dann tue ich genau das Gegenteil davon!»
Wir dürfen uns freilich diese Reaktionen nicht als Ergebnis rationaler Überlegungen vorstellen. Vielmehr würden sie von dem «unbewussten Ziel vorangetrieben, solche Verzerrungen zu korrigieren» und könnten «ohne bewusste Prozesse» erfolgen. Wir tun, was wir tun, ohne davon zu wissen – ganz nach dem Freudschen Modell unbewußter Prozesse. Es ist ein Selbstbehauptungsprogramm, das vollkommen automatisch und selbsttätig abläuft. Diese Erkenntnisse erscheinen mir nicht nur deshalb von Bedeutung, weil «sie wichtige Implikationen für das Verständnis haben, wie Konsumenten Überredungsversuchen widerstehen», wie die Autoren schreiben. Ungleich relevanter erscheint mir die doppelte Paradoxie unserer Reaktion (die übrigens auch bei allen anderen beschriebenen Reaktionen zu beobachten ist): So reagieren wir auf Spar-Slogans nicht nur, indem wir das Gegenteil dessen tun, was man uns einzureden versucht, nein: Wir tun es zudem, um damit unsere Selbstwahrnehmung als autonome Subjekte zu stabilisieren. Das bedeutet: Wir tun etwas vollkommen Vorhersehbares, um damit unsere Autonomie zu beweisen.
So kann man sich in sich selbst
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