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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ankowitsch
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wirklich!» Womit die nächste Ebene des Kundenverunsicherungsspiels erreicht wäre – und an der Zeit für den ersten, kurzen Hinweis. Er richtet sich an alle, die bereits mehrfach vergeblich versucht haben, ihren Wert in den Augen anderer zu steigern. Machen Sie sich zu einem Problem, für das es nur eine einzige Lösung gibt: Sie selbst. Eine Variante besteht darin, die anderen glauben zu machen, man sei für sie schwer erreichbar, eine seltene «human resource».
    Ende des Hinweises. Nächstes Beispiel: Kasem Sedighi ist ein frommer Mann. Und obwohl er so fromm ist, hat er weniger dafür gesorgt, daß der eine oder andere es auch wird (oder zumindest alles so bleibt, wie es ist), sondern für das Gegenteil. Und das kam so: Der iranische Geistliche glaubt zu wissen, wodurch Erdbeben verursacht werden – durch Frauen, die nicht angemessen gekleidet sind. Anstatt sich gemäß islamischen Vorschriften zu verhüllen, sagte er in einer Predigt, kleideten sie sich viel zu freizügig. Bekanntgeworden ist die Aussage des bis dahin vollkommen unbekannten Sedighi durch Berichte iranischer Medien, die von internationalen Nachrichtenagenturen wie der AP verbreitet wurden und die wiederum durch Medien in aller Welt: «Eine göttliche Autorität riet mir», konnte man in der Nachricht noch lesen, «die Leute zu einer allgemeinen Umkehr aufzufordern. Warum? Weil Katastrophen uns bedrohen.»
    Nun ließe sich über die Behauptung des Geistlichen vieles sagen. Daß sie lächerlich ist. Daß sie auf zwei sehr ernste Themen anspielt: den Zwang, dem Frauen im Iran unterworfen sind, und auf die Gefahr, in der Teheran schwebt, liegt die iranische Hauptstadt doch in einem erdbebengefährdeten Gebiet, in dem Wissenschaftler jederzeit mit einer verheerenden Katastrophe rechnen. Und es ließe sich sagen, daß es angesichts der schwierigen Gemengelage zwischen Orient und Okzident fragwürdig erscheint, jeden fundamentalistischen Unsinn zu verbreiten, von wem auch immer er stammen mag. (Es gibt gute Gründe, das zu unterlassen. Sie werden uns im Kapitel «Hilfreiche Neins» noch beschäftigen.)
    Besonders interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang jedoch die Reaktion einer US -amerikanischen Wissenschaftlerin namens Jen McCreight. Sie veröffentlichte am Tag, als die Meldung über Kasem Sedighi unter anderem in der
New York Times
erschien («Iran: Fashion That Moves the Earth»), einen Artikel in ihrem Blog [79] . Darin bot sie an, ihre Brüste der Wissenschaft zu opfern, habe doch der Geistliche die These aufgestellt, unangemessene Kleidung verursache Erdbeben. «Wenn dem so ist», schrieb McCreight am 19 . April 2010 , «dann sollten wir dazu in der Lage sein, die Behauptung wissenschaftlich zu überprüfen.» Es sei also Zeit für ein «Boobquake». Daher werde sie am 26 . April das am tiefsten ausgeschnittene T-Shirt tragen, das sie besitze. Dann werde man ja sehen, was es mit der Behauptung auf sich habe. Der Vorschlag war als Witz gemeint, verselbständigte sich aber rasch; erst durch viele Artikel in anderen Blogs, dann in den klassischen Medien. Selbstverständlich wurde sogleich eine passende Facebook-Gruppe gegründet, die noch heute knapp 100   000 Sympathisanten zählt [80]  – und schließlich kamen tatsächlich 200   000 Menschen zusammen. Das Epizentrum des Boobquake befand sich am Purdue Bell Tower, einem Turm, der auf dem Gelände der Purdue-Universität in der Stadt West Lafayette (Indiana) steht. [81] Kaum war der 26 . April in allen Zeitzonen der Welt vorbei, machte sich Jen McCreight an die wissenschaftliche Auswertung ihres Feldversuchs. Das Ergebnis: Die unangemessene Kleidung der vielen Frauen habe keinen signifikanten Effekt auf die Häufigkeit von Erdbeben gehabt, die These des muslimischen Geistlichen sei also widerlegt worden.
    Bewiesen hingegen wurde durch den Versuch die These, daß unser Ich selbst durch exotische Interventionen aus der Ruhe zu bringen ist und sie selbst dann wiederzuerlangen versucht. Was wiederum zu dem überraschenden Resultat führen kann, daß ein islamischer Geistlicher dafür sorgt, daß wir an einem bestimmten Tag einer signifikant höheren Zahl von Frauen begegnen, die ihre am tiefsten ausgeschnittenen T-Shirts tragen – oder gleich unbekleidet erscheinen. In den Augen des frommen Mannes sicher ein überraschendes Ergebnis seiner Predigt. In unseren auch. Anfangs zumindest, aber jetzt nicht mehr.

Mitunter bekommen wir von unseren Versuchen, die eigene

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