Mach's falsch, und du machst es richtig
denen ihre Besitzer nichts wußten, weil sie hinter den verwirrenden Benutzeroberflächen verschwunden waren und die von ihnen auch nicht verwendet wurden. So ergab eine Studie von Bitkom aus dem Jahr 2010 , daß schon die Kameras von mehr als der Hälfte der Handybesitzer nicht benutzt werden, obwohl sie wirklich kein schwer verständliches Feature darstellen. Vor diesem Hintergrund wird greifbar, welchen Bruch mit der allgemein anerkannten Denkungsart es bedeutete, ein Gerät wie das iPhone zu entwickeln, das über genau eine Taste verfügt und statt mit einem dicken Handbuch mit ein paar Zetteln geliefert wird. Ein wesentlicher Grund für die Radikalität, mit der Jobs an seiner Kunst der Reduktion und des Nicht-Handelns festhielt, lag wohl darin, daß sie keinem Kalkül entsprang, sondern einer Lebenshaltung: «Ich kann mich daran erinnern, wie ich Steve einmal in seinem Haus besucht habe. Er hatte kaum Möbel. Es gab ein Bild von Einstein, den er grenzenlos bewunderte, er besaß eine Tiffany-Lampe, einen Stuhl und ein Bett. Er hatte nicht gerne viele Dinge um sich herum – aber er war unglaublich sorgsam dabei, welche er auswählte. Genauso hielt er es mit Apple.» [175] Ein bekanntes Foto aus den 1980 er Jahren zeigt Jobs, wie er im Lotussitz auf einer Matte inmitten eines großen Zimmers sitzt, das durch die erwähnte Tiffany-Stehlampe spärlich erhellt wird; der mit Parkett ausgelegte Raum ist leer bis auf eine Stereoanlage, hohe Lautsprecher in Weiß, ein paar LPs und einige Zeitschriften; in seiner rechten Hand hält er einen Becher mit Tee, Sorte unbekannt.
Die reduzierte Stimmung des Bildes paßt sehr gut zu dem biographischen Detail, das über Jobs bekannt ist: Es heißt, er bekenne sich zum Buddhismus. Wenn man bedenkt, daß sich diese Religion darum bemüht, die wenigen Grundgesetze des menschlichen Lebens zu erkennen, um hinter dessen Oberfläche zu blicken – dann könnte man die These formulieren, die revolutionär-minimalistischen Apple-Geräte wie «iPhone», «iPod» und «iPad» seien Ausdruck eines ins Technische übersetzten Buddhismus. Und die idealtypische Verkörperung unseres im ersten Kapitel beschriebenen Hangs, die Komplexitäten der Welt auf wenige, einfache Annahmen und Regeln zu reduzieren. Jobs ist seiner Philosophie ebenso wie dem Buddhismus bis heute treu geblieben: «Ich kenne ihn seit den frühen Apple-Tagen und kann nicht erkennen, daß er irgend etwas an seinen Grundprinzipien verändert hätte – außer, daß er sie besser und besser anwendet», sagt John Sculley.
Über den Wert unseres Nichtstuns entscheidet der konkrete Kontext. So kann es geschehen, daß wir uns an einem Verbrechen mitschuldig machen, obwohl wir aktiv nichts dazu beigetragen haben.
Es wäre falsch, aus dem Erfolg von Apple ein Erfolgsrezept ableiten zu wollen. Das geht nicht, leider. Zu außergewöhnlich ist die gesamte Konstellation und Jobs eine zu singuläre Persönlichkeit. Dennoch lassen sich, wie eben gezeigt, einige wichtige Erkenntnisse gewinnen – ohne sie verabsolutieren zu wollen. Daher erscheint es hilfreich, die Möglichkeiten des Handelns und Nichthandelns in weiteren Schleifen zu erkunden. Schleifen, die uns zu weiteren Beispielen führen und weitere punktuelle Erkenntnisse erlauben werden. Wie jener, daß es Formen des Nichthandelns gibt, die uns geradewegs ins Verderben stürzen und die wir daher von den positiven zu unterscheiden lernen sollten. Von den gefährlichen Varianten des Nichtstuns soll nun die Rede sein.
Dazu wenden wir uns einem Mann zu, der reglos auf einer Parkbank sitzt. Diesen Mann hat es nie gegeben, vielmehr ist er der Hauptdarsteller eines kleinen Gedankenexperiments, das ich gemeinsam mit Ihnen unternehmen will. Stellen Sie sich also eine Parkbank am Ufer eines Sees Ihrer Wahl vor und einen Mann, der so lange reglos dasitzt, bis Sie sich fragen: Was ist denn hier los? Sollte weiterhin nicht mehr geschehen, als daß Enten über den See paddeln und Jogger vorbeikeuchen, bleibt die Antwort ziemlich uninteressant. Wenn wir die Szene aber erweitern und uns im See eine Person denken, die mit den Armen um sich schlägt und vernehmlich um Hilfe ruft, weil sie zu ertrinken droht – dann wird die Sache schon spannender. Dann führt uns nämlich der Mann auf der Bank eine Form des Nichtstuns vor, die nichts Positives an sich hat. Vielmehr bringt sie ihn mit den herrschenden Gesetzen in Konflikt. Denn kann er schwimmen und hört er die Rufe des Ertrinkenden, dann
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