Mach's falsch, und du machst es richtig
Internetsuchmaschine erlaubt gewesen, alle in den USA registrierten Bücher in digitaler Form auf seiner Plattform zu publizieren – und zwar, ohne vorher jeden einzelnen Autor um Erlaubnis zu fragen. Das hielten viele für problematisch und klagten gegen die Abmachung. Im März 2011 gab ihnen ein New Yorker Gericht recht. In seinem Bericht begründete Jürgen Kaube die Sinnhaftigkeit dieses Urteils mit folgendem Argument [169] (das wir mit ein wenig gutem Willen in ein prinzipielles Votum
für
das Nichtstun ummünzen können): «Es gehöre zum Recht des Urhebers, dazusitzen und nichts zu tun und sein Recht doch zu behalten. Nach den Regeln des Vergleichs hingegen würden diejenigen, die nicht handelten, ihre Rechte verlieren.» Und das sei inakzeptabel.
Das Grundproblem jeden Versuchs freilich, das Nichtstun zu beschreiben und zu würdigen, besteht darin, daß es – für sich betrachtet – nicht existiert. Was soll man über nie Getanes, nie Geschehenes sagen? Die einzige Möglichkeit, doch noch einen Begriff davon zu bekommen, besteht darin, die Sache von außen her anzugehen. Also durch den Kontext – und der wird durch die Welt des Handelns bestimmt. Das Nichthandeln verhält sich zum Handeln wie das Loch zur Socke. Das gibt es ja im Grunde auch nicht und bleibt für sich genommen unbeschreibbar. Erst die Socke drum herum macht das Loch zum Loch und in seinem Wesen plausibel: Das Loch ist jener Teil der Socke, an dem die Socke fehlt. Sie war dort vielleicht mal, aber jetzt ist sie weg. So gesehen könnten wir Löcher als Anti-Sockenmaterie bezeichnen oder als jene Stellen des Universums, an denen die Socke garantiert
nicht
ist. Zugegeben: Es gibt Milliarden anderer Dinge, die an genau dieser Stelle auch nicht sind, aber der Kontext «Socke» macht klar: Wenn hier was fehlt, dann ist es höchstwahrscheinlich ein Stück der männlichen Fußbekleidung.
Es wäre ein großer Fehler zu glauben, wir müßten uns keine Gedanken über Dinge machen, die nicht existieren. Wer anderer Ansicht ist, der sei an den Auftritt des ehemaligen Präsidenten der Weltbank, Paul Wolfowitz, erinnert. Der mußte sich, als er im Januar 2007 die berühmte Selimiye-Moschee in der türkischen Stadt Edirne besuchte, die Schuhe ausziehen. Zum Vorschein kamen zwei Socken mit Löchern an den großen Zehen. «Ein Platz in der Geschichte der Weltbank» dürfe Wolfowitz damit sicher sein, schrieb die
Süddeutsche Zeitung
[170] über die weltpolitische Bedeutung der beiden Stellen im Universum, an denen Wolfowitz’ Socken
nicht
waren. Genauso verhält es sich mit dem Nichthandeln. Wenn wir
nichts
tun, so bedeutet das noch lange nicht, daß wir nichts tun – vielmehr können wir dadurch kleinere, größere, vollkommen unbedeutende Dinge bewirken. Und so verhält es sich auch mit Dingen, die
nicht
geschehen, von denen es ebenfalls unendlich viele gibt. In bestimmten Situationen spielen sie eine wichtige Rolle: Wenn zum Beispiel das lange geplante Sommerfest endlich gekommen ist und es entgegen der Wettervorhersage
nicht
regnet, dann ist dieser Umstand von großer Bedeutung, zumindest für die Leute, die gleich ihr erstes Bier trinken werden. Wenn jemand längere Zeit krank war und jetzt
keine
Schmerzen mehr hat, dann weiß er deren Abwesenheit besonders zu schätzen. Und wenn nach einer längeren Zeit schrecklicher Hektik endlich
gar nichts
mehr geschieht, dann sind wir darüber ehrlich froh.
Doch bevor wir uns damit beschäftigen, sollten wir noch kurz über die Socke rund um das Loch sprechen, also über das Handeln. Ob jemand etwas tut, ist in der Regel erkennbar, weil es sich manifestiert. Auch wenn das, was sich da zeigt, für Außenstehende nicht ganz verständlich sein mag, können wir es meistens beschreiben: daß jemand mit einer Axt gegen einen Baum schlägt, worauf der direkt auf ein Auto stürzt; daß jemand sich zweieinhalb Minuten lang die Zähne putzt und dabei eine Melodie summt; daß jemand lässig neben dem Zebrastreifen über die Straße geht; daß jemand hektisch Zeichen in einen Computer eingibt oder daß jemand sanft in seinem Stuhl schaukelt. All das sind Handlungen, auch wenn sie im Einzelfall auf ein so geringes Maß an Tätigkeiten heruntergedimmt sein mögen, daß wir sie kaum noch wahrnehmen.
Als Handlung bezeichnen wir Dinge, die wir machen, weil wir sie machen wollen und weil wir ein konkretes Ziel damit zu erreichen versuchen (und mag es auch nur darin bestehen, untätig im Stuhl zu lümmeln). Wir wissen,
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