Mach's falsch, und du machst es richtig
ihre politische Meinung zu protestieren; indem sie schweigen, unbewegt ausharren oder nichts mehr essen. Meist tun sie das in Situationen, in denen ihnen die demokratisch garantierten Wege versperrt bleiben. Wie in Weißrußland zum Beispiel, wo viele Bürger gegen die Repressionen des Regimes aufbegehren, und zwar durch die jeden Mittwoch stattfindenden «schweigenden Demonstrationen». Wie ambivalent diese Form des Protestes ist, also wie mächtig und zugleich ohnmächtig, beschreibt der Journalist Reinhard Veser in einer Reportage [189] : «Weil bei diesen Kundgebungen ohne Losungen, Fahnen und Transparente nicht erkennbar ist, wer Demonstrant und wer einfach nur Passant ist, ist an den Kundgebungsorten jeder in Gefahr, von kräftig gebauten, kahlgeschorenen Geheimdienstlern in Zivil in die zum Abtransport der Festgenommenen bereitstehenden Busse gezerrt zu werden.»
Wie oft haben wir das nicht schon getan? Ein bißchen den Mund gehalten. Nichts gesagt. Einfach so vor uns hingeschwiegen. Bloß auf dem Gehweg gestanden. Der entscheidende Unterschied: Wir haben es nicht in derartigen Kontexten und nicht in so exponierten Momenten getan. Sondern wie der Mann in Watzlawicks Beispiel – in einem überfüllten Wartezimmer.
Wer die Menschen durch Schweigen verunsichert, erhöht ihre Sicherheit. Eine kleine Gemeinde bei Osnabrück hat es in einem Versuch bewiesen. Schade, daß das bisher so wenige nachgemacht haben.
Doch es gibt Konstellationen, in denen das Schweigen einer Institution, der von allen die Autorität zugebilligt wird zu sprechen, zu den überraschendsten und vor allem ermutigendsten Resultaten führt. Genau davon will ich zum Abschluß dieses Kapitels erzählen. Wie unsere Straßen auszusehen haben, wissen wir: An den Straßenrändern müssen sich Schilder und Ampeln befinden, auf dem Asphalt Pfeile und Linien. Der Sinn all dieser Zeichen: Sie sollen uns sagen, was wir zu tun und zu unterlassen haben – in der stillschweigenden Annahme, dadurch unsere Sicherheit zu garantieren. Wenn es an einer Kreuzung besonders häufig kracht, reagieren die Behörden meist durch die Verfeinerung des Regel- und Kommunikationswerks, stellen also zusätzliche Tafeln auf und malen weitere Linien. Es geht aber auch anders – indem man das genaue Gegenteil von alledem macht. Daß man mit diesem Rezept Erfolg haben kann, bewies die deutsche Gemeinde Bohmte. Dort geschah über lange Zeit dasselbe wie überall sonst auch: Die einen beschwerten sich über den Krach, den Gestank und die Gefahren des Durchfahrtverkehrs, und die anderen wußten nicht, was sie dagegen tun sollten; immerhin donnerten täglich weit über 12 000 Autos und Lastwagen durch den Ortskern der Gemeinde im Nordosten des Landkreises Osnabrück.
Bohmte wäre eine unbekannte Gemeinde geblieben, hätte sie nicht eines Tages beschlossen, bei einem Projekt mitzumachen, mit dem die Europäische Union zwischen 2004 und 2008 die regionale Infrastruktur fördern wollte und es im Falle von Bohmte auch tat. Dieses Projekt bestand weniger darin, ein paar attraktive Blumenkästen und hölzerne Sitzbänke aufzustellen. Vielmehr mutete es den Bewohnern der teilnehmenden Orte ein neues Verkehrskonzept zu, das den etwas sperrigen Namen «Shared Space» trägt. Also berief die Gemeinde von Bohmte diverse Versammlungen ein, um mit den Einwohnern die Grundidee des EU -Projekts zu besprechen, die von dem niederländischen Verkehrsplaner Hans Monderman stammte. Diese Grundidee klingt erst einmal so fremdartig, daß man sich bestens vorstellen kann, wie an Bohmtes Familien- und Gasthaustischen viele, viele Nachmittage und Abende darüber debattiert wurde. Monderman kam nämlich in den Landkreis Osnabrück und erklärte seinen Zuhörern, er habe starke Vorbehalte gegen die klassische Ausstattung der Straßen mit Schildern und Markierungen. All das bringe nichts. Und illustrierte seinen Ansatz mit einem einfachen Vergleich: «Auf einem Eislaufplatz fahren alle Leute, wie sie wollen, sie achten nur aufeinander. Wir zeichnen dort auch keine Bahnen für verschiedene Geschwindigkeiten und stellen keine Verkehrsschilder auf.» Womit bereits im Kern beschrieben ist, an welcher Idee sich die Gemeinde Bohmte orientierte, als sie ein 450 Meter langes Teilstück ihrer Bremer Straße umbaute.
Erst brachte man Straße und Gehwege auf ein Niveau, so daß niemand mehr wußte, wo die eine endet und der andere beginnt. Anschließend entfernte man sämtliche Verkehrszeichen und
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