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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ankowitsch
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überläßt das Aldi-Management all jenen Mitspielern die Kommunikation – offensichtlich in dem Vertrauen, daß sie den richtigen Verlauf nehmen wird. Und scheinbar tut sie das seit Jahrzehnten. Das öffentliche Reden über Aldi gleicht daher einem angeregten Gespräch sehr vieler Menschen, das diese direkt vor der Nase der beharrlich vor sich hin schweigenden Hauptperson führen.
    Es ist davon auszugehen, daß die Aufregung groß sein wird, wenn die Hauptperson das erstemal mit der Wimper zuckt, denn das Schweigen des Managements wirkt auf Aldi zurück und umgibt das Unternehmen mit einer Aura der Unnahbarkeit, Unangreifbarkeit und Souveränität. Wer keine großen Worte macht, muß seiner Sache sehr sicher sein, lautet eine der vielen Botschaften dieses Nichthandelns. Es wäre leichtfertig, daraus zu schließen, Nichthandeln sei eine gefahrlos anzuwendende Strategie. Ganz im Gegenteil. Wer schweigt, überläßt es nicht nur den anderen, für die eigene Person oder Sache zu sprechen, sondern beeinflußt nachhaltig die Reaktionen seines Gegenübers. Von der Pädagogik können wir lernen, daß wir nur dann nicht reagieren sollten, wenn Kinder versuchen, durch so harmlose Interventionen wie Quengeln oder Jammern ständig Aufmerksamkeit zu bekommen. Versuchen wir, diese Erkenntnis auf unsere Mediengesellschaft zu übertragen, dann empfiehlt sich Nichthandeln nur für den Fall, daß Journalisten subjektive Geschmacksurteile publizieren und Leitartikel schreiben – zwei Tätigkeiten, die mir dem kindlichen Quengeln nicht ganz unähnlich zu sein scheinen. Aber ich kann mich irren.
    Reagieren wir hingegen auch auf ernstgemeinte Signale unserer Kinder, Kunden und Lebensgefährten mit Schweigen, wird es uns nicht gelingen, deren Anliegen aus der Welt zu schaffen. Vielmehr könnten wir eine fatale Spirale in Gang setzen – auch das eine Erkenntnis aus der Kindererziehung: Durch unser Nichthandeln vermitteln wir den anderen das unangenehme Gefühl, nicht wahr- und ernstgenommen zu werden. Deren mögliche Reaktionen: Sie werden sich noch lauter äußern, womöglich sogar immer aggressiver werden, bis uns Nichthandelnden keine andere Wahl mehr bleibt, als doch noch zu reagieren. Unter diesem Aspekt hat Bundeskanzlerin Angela Merkel exakt das Falsche getan, als sie in der Debatte um das heftig umstrittene Buch von Thilo Sarrazin, «Deutschland schafft sich ab», erklärte, sie habe es
nicht
gelesen, werde es nicht lesen, kenne es nur aus Vorabdrucken und finde es «wenig hilfreich». Was Frank Schirrmacher zu der Feststellung veranlaßte [188] , man erkenne daran eine Form der «Kälte der Macht, die nicht liest und nicht zu lesen gedenkt». Und weiter: «Die Weigerung der Politik, sein Buch zu lesen, zeigt eine fundamentale Krise der politischen Kommunikation.» Es bedarf also bloß der kurzen Mitteilung, ein bestimmtes Buch nicht zu lesen, um zumindest von den Feuilletonisten für eine veritable Debattenkatastrophe verantwortlich gemacht zu werden. Und das sollte uns zu denken geben.
    Da war das Schweigen der beiden Rundfunkjournalisten Zsolt Bogár und Attila Mong von etwas anderem Kaliber. Als nämlich das ungarische Parlament am 21 . Dezember 2010 ein Zensurgesetz verabschiedete, das die Pressefreiheit deutlich einschränken sollte (und das drei Monate später abgeschwächt wurde), beschlossen die beiden Moderatoren im Studio 31 des öffentlich-rechtlichen Kossuth Rádió (MR 1 ) in Budapest, auf ihre Weise dagegen zu protestieren. Sie unterbrachen um 6 . 16  Uhr ihr Morgenmagazin, indem sie eine Minute lang – nichts taten. Das Resultat: Sechzig kurze Sekunden war im Radio nichts zu hören. Es herrschte eine kurze, unspektakuläre Stille, also eigentlich das Selbstverständlichste der Welt. Welch provokative Wirkung selbst so ein minimales Nichtkommunizieren entfalten kann, zeigte die Reaktion der Verantwortlichen: Bogár versetzte man in den einstweiligen Ruhestand, und seinem Vorgesetzten Mong gab man einen Job im Sendearchiv. «Wir wollen uns nicht vorwerfen müssen, wir hätten nichts getan.» So rechtfertigten die beiden ungarischen Radiojournalisten ihren Protest. Das ist nicht ganz richtig, denn sie haben ja
tatsächlich
«nichts getan»; korrekterweise hätten sie also sagen müssen: «Wir wollen uns nicht vorwerfen müssen, wir hätten
etwas
getan. Und damit zum Verschwinden gebracht, was in unserem Land Unannehmbares geschieht.»
    Immer wieder tun Menschen auf die eine oder andere Weise
nichts
, um für

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