Mach's falsch, und du machst es richtig
brachte in ihren Filialen Plakate an, auf denen zu lesen war: «Bei Bio kommt’s drauf an, was nicht drin ist.» Die Berliner Gaswerke wiederum warben zu Recht mit dem Slogan für sich: «Alles wächst im Frühling. Unsere Preise nicht.» Genauso sollten wir es halten: den Menschen mitteilen, was wir alles Wesentliche
nicht
getan haben. Seit drei Tagen nicht mehr Auto gefahren. Seit Wochen kein Fleisch mehr gegessen. Seit zwei Stunden keine mehr geraucht. Mit einem Wort: Seien Sie nicht bescheiden. Manchmal zumindest.
Tun Sie einfach nichts, wenn Sie Menschen zum Lachen bringen wollen: Wie das klappt, wußte der kürzlich verstorbene Komiker Leslie Nielsen sehr genau, war er doch der Großmeister eines schauspielerischen Ausdrucksmittels, das man im Englischen als «Deadpan» bezeichnet. Darunter versteht man die schauspielerische Technik, «den größten Unsinn» von sich zu geben, «ohne eine Miene zu verziehen» [191] . Oder anders formuliert: Deadpan ist der Trick, sehr witzig zu sein, indem man als Schauspieler das Gegenteil des Gewohnten tut – nämlich nichts. Wobei das in diesem Fall nicht ganz korrekt beschrieben ist. Leslie Nielsen und mit ihm die anderen Deadpan-Künstler, Buster Keaton und Bill Murray, machen ja eine ganze Menge: Sie tigern durch ihre Filme, lassen sich bekleidet und mit einem Whiskyglas in der Hand vom Trampolin in einen Swimmingpool fallen (wie Bill Murray in «Rushmore») oder stehen vor einer explodierenden Feuerwerkskörperfabrik und fordern die Menschen mit dem Satz «Bitte gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen!» auf, nicht stehenzubleiben (wie Leslie Nielsen in «Die nackte Kanone»). Nur auf ein wesentliches Ausdrucksmittel verzichten die beiden dabei: ihre Mimik zu verändern. Die beiden Komiker blicken völlig unbewegt in die Kamera. Im Kontrast zum allgemeinen Chaos, das sie handelnd anrichten, wirkt dieses fokussierte Nichthandeln sehr lustig – zumindest auf mich. Womit wir unserer Sammlung nützlicher Erkenntnisse eine weitere hinzufügen können: Nicht zu handeln bedeutet nicht zwangsläufig, alle Aktivitäten einzustellen und gleichsam als ganze Person in Reglosigkeit zu verfallen. Vielmehr zeigen Keaton, Nielsen und Murray, daß schon kleinste Inseln der Inaktivität ausreichen, um die Dynamik großer Szenen merklich zu beeinflussen.
Eine Variante dieser Strategie führte ein anderer begnadeter Schauspiel vor. Robert Mitchum hatte die legendäre Angewohnheit, seine Drehbücher daraufhin durchzusehen, aus welchen Szenen er sich gleichermaßen raushalten konnte. Diese markierte er mit dem Kürzel « NAR ». Es stand für «No Action Required» – also kein Schauspielen erforderlich. Manchmal müssen wir uns eben daran erinnern, wirklich nichts zu tun, um damit Wirkung zu erzielen.
Leihen Sie sich ein paar Minuten Stille aus dem Kosmos des Schweigens: Eine existentielle Frage beschäftigt zu Weihnachten viele Menschen in Großbritannien: Welcher Song wird diesmal an der Spitze der UK Single Charts stehen [192] ? Diese Bestenliste wird zwar wöchentlich veröffentlicht, aber das Ranking zum Jahresende ist von besonderer Bedeutung. Sowohl für die Musiker, denn zu keinem anderen Zeitpunkt bietet sich ihnen die Chance, binnen weniger Tage so viele CDs bzw. Downloads zu verkaufen; und für das interessierte Publikum, hat sich doch der Kampf um den Spitzenplatz längst zum Kult entwickelt, auf dessen Ausgang Wetten abgeschlossen werden. Es ist die Aufgabe der «Official Charts Company», diese Liste zusammenzustellen; sie agiert im Auftrag der «British Record Industry» und hat dabei nichts anderes zu tun, als die absoluten Verkaufszahlen zu addieren, daraus eine Liste der 200 bestverkauften Singles zu kompilieren und die ersten 40 zu publizieren. Rund um diese seit 1952 erhobenen Charts hat sich eine Betriebsamkeit entwickelt, wie wir sie vom Eurovision Song Contest kennen: Es gibt unzählige einschlägige Statistiken, die zum Beispiel darüber Auskunft geben, wer zweimal mit demselben Song vorneweg lag (Queen mit «Bohemian Rhapsody», 1975 und 1991 ).
Unsere Geschichte beginnt damit, daß die Beobachter und Fans der Charts immer unzufriedener wurden mit der Qualität der Nummer- 1 -Hits, landeten doch zwischen 2005 und 2008 regelmäßig jene Musiker an der Spitze, die aus dem britischen Casting-Wettbewerb «The X Factor» hervorgegangen waren. «Retortenware statt ernstzunehmender Musiker», so läßt sich der Widerwille der Fans zusammenfassen. Und: «Da
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