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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ankowitsch
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ausgelösten Krieges deutlich erhöhte.
    Auf der anderen Seite stand der knapp 70 jährige sowjetische Staatschef Jurij Andropow. Er nahm Reagans Sprüche ernst und war fest davon überzeugt, es drohe ein amerikanischer Überraschungsangriff auf die UdSSR. Wie angespannt die allgemeine Lage war, zeigte sich am 1 . September 1983 , also drei Wochen vor jener denkwürdigen Nacht, von der gleich die Rede sein wird. Damals verletzte eine zivile Boeing 747 der Korean Air Lines den sowjetischen Luftraum bei der Insel Sachalin, einem Areal, in dem sich wichtige militärische Einrichtungen der Sowjets befanden. Diese stuften das Flugzeug daher auch als feindliches militärisches Ziel ein und ließen es von einem sowjetischen Abfangjäger westlich von Sachalin abschießen. Keiner der 269 Menschen an Bord der Zivilmaschine überlebte. Nicht weiter verwunderlich also, daß die beiden Großmächte einander argwöhnisch und auf vielfache Weise belauerten. Die Russen taten das unter anderem von einem Kontrollzentrum aus, das sich bei Moskau befand und dessen genauen Standort bis heute kaum jemand kennt. Von dort aus beobachteten die Sowjets jene Orte in den USA , an denen sie Interkontinentalraketen mit Atomsprengköpfen vermuteten. Sie taten das mit einem modernen, satellitengestützten System, das als stabil und verläßlich galt und seit einigen Jahren fehlerfrei arbeitete. Die Aufgabe dieses Überwachungszentrums: die politische Führung der UdSSR möglichst rasch vor einem etwaigen Angriff zu warnen. Die Politiker sollten dann über einen möglichen Gegenschlag entscheiden, ebenfalls mit Atomraketen. Das Zeitfenster zwischen dem Abschuß einer amerikanischen Interkontinentalrakete und einem möglichen russischen Gegenschlag betrug rund dreißig Minuten.
    Das Kommando im Überwachungszentrum in jener Nacht hatte ein gewisser Oberstleutnant Stanislaw Petrow, der stellvertretende Leiter der Anlage; seine Nachtschicht dauerte von 20 : 00  Uhr bis 8 : 00  Uhr morgens. Was kurz nach Mitternacht geschah, schilderte er dem Autor Markus Kompa folgendermaßen: «Die elektronische Uhr zeigt 0 : 15  Uhr an, als das Unerwartete eintritt: Plötzlich schlägt der Alarm an und eine schrille Sirene heult fürchterlich los. Eine riesige Anzeige, die ich das erste Mal überhaupt wahrnehme, zeigt rot das Wort START an. Das Überwachungssystem hat mit höchster Wahrscheinlichkeit den Start einer Interkontinentalrakete von einer amerikanischen Basis entdeckt!» [185]
    Petrow braucht ein paar Sekunden, bis er realisiert, was das bedeutet. Dann wird ihm bewußt, daß nicht nur er diese Nachricht vom angeblichen Start einer US -Rakete bekommen hat, sondern auch die sowjetische Führung. «Wir müssen sofort handeln», sagt er. Doch anstatt zum Telefon zu greifen, um den Start zu bestätigen oder zu widerlegen, tut er – nichts. Obwohl die Rakete « 25 bis 27  Minuten» braucht, «bis sie uns erreicht», läßt Petrow eine Sekunde nach der anderen verrinnen, bis eine Minute vergangen ist, dann eine zweite, eine dritte … Irgend etwas sagt ihm, daß es sich um einen Fehlalarm handeln könnte. Schließlich entschließt sich Petrow, doch zum Telefon zu greifen, um seine Einschätzung der Lage durchzugeben – da wird der Start einer zweiten Rakete gemeldet. Wieder zögert er. Dann meldet er, bei dem ganzen Aufruhr handle es sich um einen Fehlalarm. Während er mit den Leuten am anderen Ende der Leitung spricht, werden drei weitere Raketen gemeldet. «Mit der fünften Rakete wechselt die riesige rote Anzeige von START auf RAKETENANGRIFF . Aber die visuelle Beobachtung sieht immer noch keine Raketen. Deshalb ändere ich meinen Entschluss nicht.»
    Petrow bleibt bei seiner Strategie und läßt Zeit verstreichen, wartet. Und zwar auf die Rückmeldung eines zweiten, radargestützten Warnsystems, das aber erst zehn bis zwölf Minuten nach dem Start einer Rakete eine Bestätigung geben kann. Und – was meldet es? «Nach 13  Minuten Warten gibt das Radarsystem durch: keine Raketen.»
    Was für ein wunderbares Wechselspiel von Nichthandeln und Handeln, das letztlich einem einzigen Zwecke diente: nichts geschehen zu lassen. Erst entschloß sich Petrow dazu, selber untätig zu bleiben (indem er drei Minuten verstreichen ließ), dann wurde er mit der Absicht aktiv, die anderen davon zu überzeugen, untätig zu bleiben (indem er Entwarnung gab), um schließlich trotz des gemeldeten Starts dreier weiterer Raketen wieder untätig auszuharren, bis die

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