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Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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Frage der Zeit.«
    »Das hat er gesagt?«, fragte Philip ungläubig.
    »Ja.«
    »Er sprach von ihrem Mann?«
    »Offenbar Ihrem Großvater.«
    Es gab nichts, was Philip an seinen Opa erinnerte. Aber das war nicht weiter verwunderlich. Er hatte überhaupt keine Erinnerung an seine Familie. Laut seinem Vater existierte sie nicht. Wahrscheinlich ist das Dreckspack gestorben. Das war eine Lüge, so viel war inzwischen klar. Aber da war noch etwas. »Dieser Lacie… er ist ein Kollege von Ihnen?«
    Kahlscheuer rieb sich das rotwangige Gesicht. »Ein Kollege?«
    »Ein Abgesandter des Vatikans. Ein Priester.«
    »So was ist kein Priester!«
    »Dann eben ein Pfarrer. Oder was auch immer.«
    »Er ist ein Mörder«, spuckte Kahlscheuer aus.
    Die S-Bahn verlangsamte, obwohl sie noch einige Kilometer von der nächsten Station entfernt war. Philip schaute durch die zerkratzte Scheibe nach draußen. Außer Schneeflocken, die der Wind gegen das Glas hämmerte, konnte er nichts erkennen. »Mag sein«, wandte er sich wieder an den Priester. »Aber ich frage mich: Warum interessiert sich der Vatikan für meine Familie? Für meinen Großvater? Meine Oma?« Er hielt den Atem an. Leise fügte er hinzu: »Und für mich?«
    Kahlscheuer zuckte die Achseln. »Sagen Sie es mir!«
    Obwohl die Heizung in dem Waggon auf Hochtouren lief, griff eine eiskalte Gänsehaut nach ihm. Da war sie, eine der vielen Antworten, nach denen er sich sehnte. Er fragte Kahlscheuer: »Können Sie sich daran erinnern, worüber wir in Ihrem Pfarrhaus gesprochen haben?«
    »Ja, doch.« Der Priester begann abermals seine verkrümmten Finger zu malträtieren, als machte das Thema ihn verlegen. »Wir sprachen über den Tod.«
    »Richtig«, pflichtete Philip bei. »Und falsch. Denn eigentlich haben wir uns über die Toten unterhalten. Über verlorene Seelen, die aus dem Jenseits zurückkehren.« Er machte eine kurze Pause. Ich passe auf dich auf! Mit diesen Worten war ihm seine Großmutter am Potsdamer Platz das erste Mal gegenübergetreten. Jene alte Frau, deren Lebenskraft allmählich nachgelassen hatte. Er fügte hinzu: »Und über jene Menschen, die in Kontakt stehen zu den Geistern.«
    »Das war Ihre These.«
    »Nein, das ist es nicht«, widersprach Philip. Auf einmal wusste er ganz genau, warum sich der Vatikan ausgerechnet für ihn interessierte. »Es ist keine These.«
     
     
    Berlin
     
    »Seien Sie still!«
    Die schrille Stimme Jakob Kahlscheuers hallte durch den stickigen Waggon. Der Mann weiter vorne schaute auf, blinzelte verstört zwischen Kapuze und Schal hervor, dann sank sein Kopf zurück auf die Brust. Gleich darauf entrang sich seiner Kehle erneut ein leises Schnarchen. Kahlscheuer gab vor, ihn zu beobachten. Aber eigentlich wich er nur den eindringlichen Blicken von Philip Hader aus.
    Dieser fragte: »Wovor haben Sie Angst?«
    »Ich habe keine Angst.« Kahlscheuers Widerspruch klang so schwach, dass er ihn selbst nicht überzeugte.
    Zu gut waren ihm Haders Fragen über die verlorenen Seelen im Gedächtnis. Auch das, was Eleonore Berder gesagt hatte, kurz bevor sie der Schlaganfall auf offener Straße heimsuchte, war ihm nicht entfallen. Beide Male hatte er mit Antworten reagiert, die ihm die vielen Jahre, seit seinem Studium und der Priesterweihe, wie selbstverständlich über die Lippen gekommen waren.
    In Wahrheit waren es nur Ausflüchte, wohlfeile Bibelsprüche. Hatte er sich tatsächlich dahinter versteckt? Hinter einer Kirche, die alte, gebrechliche Frauen ermordete? Schäm dich!
    »Sie sagten, ich könne Ihnen helfen?«
    »Ja«, erwiderte Hader. Vor einer ganzen Weile schon hatte er sich die Mütze vom Kopf gezogen, doch noch immer rieb er sich den rasierten Schädel. Er wirkte verzweifelt. Zumindest in diesem Punkt hatte er sehr viel mit Kahlscheuer gemeinsam. »Das wäre schön.«
    »Wobei kann ich Ihnen helfen?«
    Zögernd entgegnete Hader: »Sie werden es mir nicht glauben.«
    Der Tonfall, in dem er es sagte, brachte Kahlscheuer abermals aus dem Gleichgewicht. Er brauchte einige Sekunden, bis er sich gesammelt hatte. Beherrscht forderte er dann den jungen Mann auf: »Erzählen Sie!«
    »Menschenleben sind in Gefahr.«
    Kahlscheuer knetete seine Finger, in denen wieder die Krämpfe pochten. Die letzten Stunden, die er in der Kälte verbracht hatte, waren ihm nicht gut bekommen. »So weit waren wir schon. Also sind Sie doch auf der Flucht?«
    »Es geht hier nicht um mich.«
    »Sie müssen mir schon mehr verraten, wenn ich Ihnen helfen

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