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Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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soll.«
    Der Junge wartete einen Moment, bevor er antwortete. »Es wird ein Attentat geben. In einem Flugzeug.«
    »Ein Attentat?« Kahlscheuers Stimme rasselte. »Sind Sie sich sicher?«
    »Ja!«
    Die Antwort kam schnell. In seinen Ohren zu schnell. Er wollte wissen: »Was haben Sie damit zu tun?«
    »Nichts! Außer dass ich es verhindern muss.«
    »Warum rufen Sie nicht die Polizei? An jedem Flughafen gibt es Sicherheitskräfte, den Bundesgrenzschutz, der…«
    »Die würden mir nicht glauben.«
    Kahlscheuer stieß die Luft aus seinen Lungen. Die Schmerzen in seinen Gelenken nahmen zu. »Was würden Sie Ihnen nicht glauben?«
    »Ich habe keinerlei Beweise. Ich weiß nur, was ich gesehen habe.«
    »Herrgott, reden Sie doch! Was haben Sie gesehen?«
    Wieder wartete Hader. »Ich habe gesehen, wie es passiert ist!«
    Kahlscheuer schüttelte den Kopf. Sein strähniges Haar fiel ihm ins Gesicht. Er ließ es dort hängen, weil er seinem Arm keine unnötige Bewegung zumuten wollte. »Aber das ist doch…« Etwas drängte sich in seinen Verstand. Er wehrte sich dagegen. Sie drehten sich im Kreis. Er wollte nichts darüber wissen. Trotzdem stellte er die Frage: »Von wem, sagten Sie, haben Sie davon erfahren?«
    »Ich habe keinen Namen genannt.«
    »Sagen Sie es mir!« Kahlscheuers Stimme schwoll an. Der ältere Herr vorne im Abteil erwachte wieder.
    »Ich sagte doch schon: Sie glauben es mir nicht.«
    »Der Glaube ist mein Beruf.« Die Worte waren draußen, noch ehe er darüber nachdenken konnte. Der Junge lächelte. Offenbar sah er ihm an, dass er selbst seit Monaten um seine Überzeugung kämpfte.
    »Wir sprachen über Menschen und die verlorenen Seelen.«
    »Ihre These.« Kahlscheuer rutschte auf der Sitzbank herum, als wäre sie ihm unbequem geworden. So unbequem wie das Weltbild, das hinter Haders Worten verborgen lag.
    Nun war er sich gar nicht mehr so sicher, ob er sich seiner Verantwortung stellen wollte. Er wünschte sich zurück in sein Pfarrhaus. Auch wenn es kein Zuhause war, bot es doch zumindest Sicherheit vor den Unwägbarkeiten dieses anbrechenden Tages. In Neukölln lag eine geordnete Welt voller klarer Richtlinien, vorgegeben von der Bibel. Selbst das Asyl der Obdachlosenhilfe mit seinen Pennern und Stadtstreichern erschien ihm plötzlich als ein gar nicht so schlechter Ort. Deren Leben war schlicht, einzig darauf ausgerichtet, eine nächste warme Mahlzeit zu bekommen. Und einmal im Monat einen Gottesdienst zu erleben. Womit er wieder beim Glauben war.
    Glauben!
    Es dauerte eine ganze Weile, bis er weitersprach. Er flüsterte fast. »Sie wollen doch nicht etwa behaupten, Sie hätten Kontakt zu den Toten?«
    Der Junge nickte mit aller Entschiedenheit. »Doch.«
    Wieder antwortete Kahlscheuer ohne nachzudenken: »Das glaube ich nicht.«
    Der Junge lächelte freudlos. »Gerade sagten Sie noch, der Glaube sei Ihr Beruf.«
    »Das ist etwas…«
    »Etwas anderes?«, unterbrach ihn Hader.
    Jetzt schien das Polster unter Kahlscheuers Po zu brennen. »Nein. Nein, das können Sie nicht von mir verlangen.«
    Hader blickte ihn ernst an. »Das tue ich auch nicht. Ich bitte Sie nur darum, mir zu helfen.«
     
     
    Berlin
     
    Für den Rest der Fahrt sagte keiner ein Wort. Der Priester schien tief in Gedanken versunken zu sein. Philip unterdessen ließ die Erkenntnis sacken, die er vor wenigen Minuten gewonnen hatte.
    Als sie am S-Bahnhof Schönefeld ausstiegen und der Schneesturm ihnen seine ganze Brutalität entgegenschleuderte, klang Kahlscheuers Stimme wie eine rostige Gießkanne: »Das wird ja immer schlimmer!«
    Philip, der seine Kopfhaut hastig unter Kens Bommelmütze verbarg, reagierte nicht. Etwas ist im Anmarsch. Das waren Ritz’ Worte gewesen. Tatsächlich hatte das Schneetreiben in den letzten Minuten, seit sie in Treptow in die Bahn gestiegen waren, noch einmal zugelegt. Die Flocken wirbelten so dicht beieinander, dass kaum noch die Hand vor Augen auszumachen war, geschweige denn die Ampel auf der anderen Straßenseite. Doch sie liefen kaum Gefahr, überfahren zu werden. Autos waren nur wenige unterwegs. Und jene Fahrer, die sich auf die Straße gewagt hatten, fuhren im Schritttempo über den Asphalt, in der Hoffnung, dass das technische Wunderwerk ABS ihnen auf ihren Wegen beistand.
    Unbeschadet kreuzten Philip und sein Gefährte die Straße, auf der sich zentimeterhoch ein weißer Teppich wob. Vom Winterdienst war weit und breit nichts zu sehen oder zu hören. Sie ließen die anderen Reisenden hinter

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