Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
Vom Netzwerk:
eine Schlange um seine Beine. Er stolperte, drohte der Länge nach auf dem polierten Boden hinzufallen. Zum Glück war Silvano zur Stelle und stützte ihn.
    »Danke«, brachte de Gussa hervor. Mit pochendem Herzen griff er nach dem Zingulum und schnürte es sich um den Leib. Er band drei Knoten, die für die Berufung in Gehorsam, Armut und Keuschheit standen. Am liebsten hätte er noch einen vierten Knoten hinzugefügt, für die Verzweiflung. Stattdessen zog er das Zingulum nur enger um die Taille, bis er kaum Luft bekam. »Gehen wir!«, stieß er hervor.
    Draußen im Vorzimmer kam ihnen van Loyen entgegen. Er runzelte die Stirn, als er die beiden Männer mit strammen Schritten auf sich zueilen sah. Er öffnete den Mund zu einer Bemerkung, doch de Gussa winkte ab. »Ich komme gleich wieder!«
    »Aber…«, stammelte der Sekretär.
    »Kein Aber«, herrschte der Bischof.
    Schon war er mit dem Pater auf dem Gang verschwunden. Der Sekretär rannte ihnen hinterher. »Aber das geht nicht. Sie haben…«
    Mit einem Ruck blieb de Gussa stehen. »Was?«
    Van Loyen rang nach Atem. »Die Audienz… nachher… beim Papst.«
    Der Bischof musterte seinen Sekretär. »Habe ich Ihnen nicht schon einmal gesagt, Sie sollen nicht so viel rauchen?«
    Van Loyen nickte. »Ja, das haben Sie, aber was hat das…«
    »Nichts«, sagte der Bischof und wandte sich ab. »Gehen Sie an die Arbeit und warten Sie.« Er trabte wieder los. »Und von mir aus rauchen Sie eine dabei.«
    Pater Silvano war bereits bis zum Ende des Ganges vorausgeeilt und wartete dort. Nachdem de Gussa aufgeschlossen hatte, übernahm er die Führung. Kaum jemand begegnete ihnen auf ihrem Weg. Auch im Gouverneurspalast, dem enormen Verwaltungszentrum im Nordwesten der Vatikanstadt, herrschte bis auf wenige Ausnahmen Sonntagsruhe. De Gussa war es nur recht, denn Priester und Prälaten, die jetzt mit einem Anliegen an ihn herangetreten wären, hätte er nur ungeduldig abwimmeln müssen.
    Schnurstracks stiegen sie die Stufen zum Keller hinab. Nach Verfolgern schauten sie sich dabei nicht um. Nach hier unten verirrte sich sowieso niemand. Und falls doch, nahm er gleich wieder Reißaus vor dem rostigen Plunder und muffigen Gestank.
    De Gussa war in den letzten Tagen so häufig hier unten gewesen, dass ihn der Geruch nicht störte. Die vollgestopften Lagerräume waren ihm inzwischen ein vertrauter Anblick. Dort rechts eine alte Orgel, direkt daneben die rostigen Pfeifen, zwei Kartons voller Rosenkränze. Links davon Statuen, von denen die Farbe blätterte. Die klerikalen Gegenstände verfaulten und schimmelten. Der ideale Mantel der Verschwiegenheit für das, was hinter den Türen in den Wänden verborgen lag.
    Silvano entriegelte das Schloss einer der Türen. Brüchige Steinstufen führten geradewegs nach unten. Für einen Moment verharrte de Gussa auf dem Treppenabsatz. Die Dunkelheit, der die schwachen Birnen links und rechts der Stufen kaum zu trotzen vermochten, empfing ihn wie der Eingang zur Hölle. Die Geschichte wiederholt sich nicht.
    Er gab sich einen Ruck und lief die Stiegen hinab. Es waren 95 an der Zahl. Er hatte sie die letzten Tage mehr als einmal zählen können. Und die Krypta, dessen war er sich inzwischen ebenso gewiss, lag direkt unter der Sixtinischen Kapelle. Im Verlauf des Tages würden Touristen in endlosen Schlangen durch das Heiligtum strömen, ohne auch nur zu ahnen, welches Geheimnis sich viele Meter unter ihnen verbarg.
    Schon von Weitem hörte de Gussa den alten Mann. Er schrie und krakeelte, obwohl niemand da war, der ihm zuhörte. Auch als sie den Raum betraten, machte er seinem Zetern kein Ende. Er wälzte sich auf der Liege herum, ohne dass er sich von der Stelle bewegte. Er war, wie es de Gussa befohlen hatte, an die Bahre gefesselt.
    Fasziniert beobachtete der Bischof das eigenartige Gebaren des Greises. Der Alte warf seinen Kopf in einem fort hin und her, als sitze er auf einer Achterbahn, die wilde Loopings fuhr. Vielleicht raubten ihm aber auch die Bilder vor seinem inneren Auge den Verstand.
    De Gussa wusste, dass der Mann niemals seine Fähigkeiten verloren hatte, trotz des Komas, in dem er so lange gelegen hatte, nachdem ihn Cato und Lacie vor 19 Jahren aufgegriffen hatten. Seine Kräfte waren zwar schwächer geworden, daran gab es keinen Zweifel. So schwach, wie er alt geworden war. Aber verschwunden waren sie nicht. Was er jetzt wohl vor Augen hatte, dass es seinen Körper mit derartiger Heftigkeit schüttelte?
    »Was ist mit ihm?«,

Weitere Kostenlose Bücher