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Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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bevorstand. Doch er konnte wohl kaum den Priester damit beauftragen, ihm einen Longdrink zu besorgen. Daher forderte er ihn nur auf: »Halten Sie Ausschau!«
    »Wonach?«
    »Nach…« Er hatte sagen wollen: Nach einem Mann mit Koffer. Aber das war eine Information, die an diesem Ort nicht weiterhalf.
    »Nach den Sicherheitskräften?«, mutmaßte Kahlscheuer.
    Philip wehrte ab: »Die können uns nicht helfen.«
    »Wonach denn dann?«
    Philip blickte den Priester an. »Dem Mörder natürlich! Dem Attentäter!«
    Obwohl er die Worte leise zischte, wandten sich die Blicke der umstehenden Reisenden ihnen zu. Eine ältere Dame, die Gummistiefel trug, runzelte die Stirn, bevor sie mit quietschenden Sohlen verschwand. Ein Geschäftsmann im Anzug zog seine kleine Tochter an sich.
    Philip beachtete sie nicht. Er versuchte über die Distanz, Gesichter in den dichten Menschentrauben vor den Germanwings- Schalternzu unterscheiden. Wie Ameisen waberten die Wartenden umher, in der Hoffnung, dass die Frauen in den violetten Röcken ihnen endlich die Bordkarten aushändigten. Doch die Damen hinter den Tresen brachten nur ihre blitzend weißen Zähne hervor. Irgendwie grinsten Stewardessen immer, egal, ob Sommer oder Winter. Ob sie auch grinsten, wenn sie erfuhren, dass ihre Maschine in Fetzen gerissen wurde?
    »Ich muss ihn alleine suchen«, sagte Philip.
    »Das ist doch irre!«, entgegnete Kahlscheuer. »Lassen Sie uns den Sicherheitsdienst rufen.«
    »Nein«, widersprach Philip. Was hätte er den Beamten schon großartig erklären können? Dass er einen Attentäter gesehen hatte? Nämlich in einer Vision? Abgesehen davon, dass ihm keiner glauben würde, er wusste ja nicht einmal, wie er den Typen beschreiben sollte, mit dem er am S-Bahnhof Treptower Park zusammengestoßen war. Wenn er wenigstens so ausgesehen hätte, wie man sich beim Verfassungsschutz und Nachrichtendienst einen Attentäter vorstellte: dunkle Haut, schwarzes Haar, dichter Bart, finsterer Blick, nach Möglichkeit noch ein arabischer Akzent. Doch stattdessen hatte er Winterklamotten getragen. Bleiches Gesicht. Schütteres Haar. Ein Allerweltsgesicht. Es traf auf ungefähr die Hälfte der im Flughafen versammelten Männer zu.
    Philip ruckte mit dem Oberkörper nach vorne. Doch seine Füße folgten nicht, schienen in den Betonfußboden eingelassen zu sein. Der Schweiß floss inzwischen in Strömen an ihm herab, wie der schmelzende Schnee von seiner Kleidung. Fieberhaft überlegte er, wie er seiner Aufgabe gerecht werden konnte. Es wollte ihm nichts Gescheites einfallen. Verzweifelt sagte er: »Er ist nur eine Bahn vor uns eingetroffen.« Wie lange war das her? Fünf Minuten? Zehn? Maximal fünfzehn. »Keinesfalls hat er die Zeit gefunden, mit seinem Koffer einzuchecken.«
    Kahlscheuer klatschte zufrieden in die Hände. »Dann werden die Sicherheitskräfte die Bombe entdecken, sobald sie den Koffer durchleuchten.«
    »Das werden sie nicht!« Philip wischte sich mit der Strickmütze das Wasser von der Stirn. Die kalten Klamotten klebten ihm am heißen Körper, kein angenehmes Gefühl.
    »Ach, kommen Sie!«, widersprach Kahlscheuer. »Bei dem ganzen Sicherheitszirkus, der neuerdings veranstaltet wird, kommt doch kein…«
    »Nein!«, rief Philip. »Ich weiß, dass es passieren wird!« Die Vision war klar und deutlich gewesen. Aber das sagte er seinem Begleiter nicht. »Wie auch immer er die Bombe an Bord schmuggelt, es gelingt ihm.«
    Der Priester schaute ihn skeptisch an. Es war ihm deutlich anzusehen, welche Frage ihm auf der Zunge brannte. Woher wissen Sie das? Aber er schluckte sie hinunter. »Vielleicht stimmt es, was Sie sagen.« Kahlscheuer nickte ungeduldig. »Aber, Herrgott, je länger wir warten, umso größer ist die Gefahr, dass er tatsächlich eincheckt, die Kontrollen passiert und…«
    »… wir ihn nicht mehr finden«, vollendete Philip. Er blickte auf das hektische Durcheinander, in das er sich nicht traute. Zum Teufel, er musste endlich seinen Arsch bewegen.
    »Worauf warten Sie dann noch? Warum suchen Sie ihn nicht?«
    Philip sah den Priester niedergeschlagen an. »Ich kann es nicht.«
     
     
    Berlin
     
    Beatrice öffnete die Augen. Der Priester zeigte keine Spur einer körperlichen Veränderung. Die steife Haltung, mit der er neben ihr auf der Matratze saß, drückte seine permanente Anspannung aus. Unablässig gruben sich seine Zähne in den Kaugummi. Gelegentlich wischte er sich mit der Hand die Nase.
    Ihr Blick fand das Achat, das zwischen seinen

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