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Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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Schritte?
    Los doch, feuerte sie sich an. Beeil dich! Ihre Finger zerrten verbissen an den Seilen. Einer ihrer Nägel brach, riss das halbe Nagelbett mit sich. Blut tropfte auf die Matratze. Sie schenkte dem Schmerz keine Beachtung. Doch die Knoten gingen nicht auf.
    Verflucht!
    Ein Keuchen entrang sich ihrer Kehle. Ihr Blick irrte verzweifelt umher. Als sie der Überreste des Bettes gewahr wurde, auf denen sie saß, fluchte sie. Natürlich! Sie griff nach einer der rostigen Metallstreben, begann sie wie eine Säge auf den Fasern hin und her zu schieben. Einige der millimeterfeinen Fäden gaben augenblicklich nach, rollten sich wie ein kunstvolles Geschenkband auf. Sie verstärkte den Druck auf ihr Behelfswerkzeug. Immer mehr Fasern lösten sich.
    Schlüsselrasseln versetzte sie in Panik. Sie legte ihre ganze Kraft in ihre sägenden Bewegungen. Nicht mehr lange, und sie hatte die Fesseln gelöst.
    Der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt. Endlich gab das Seil nach. Ihre Beine waren befreit. Sie ließ ihre improvisierte Säge fallen, sprang auf. Ihre Beine fühlten sich wie Pudding an, wollten unter ihr nachgeben.
    Knirschend wurde der Riegel zurückgeschoben. Sie packte das Erstbeste, was ihre Finger zu greifen bekamen. Sie rannte, wankte, zur Tür. Gerade rechtzeitig kam sie dort an und postierte sich im toten Winkel. Das Blut pochte hinter ihren Schläfen. Sie schnaufte. In ihren Ohren klang es wie das Grunzen eines Wahnsinnigen.
    Erst jetzt bemerkte sie, was sie zwischen den Fingern hielt. Ausgerechnet das Achat. Es war nicht mehr zu ändern. Vielleicht konnte es ihr, auch wenn es seine Macht verloren hatte, auf diese Art einen letzten Dienst erweisen.
    Die Tür schwang auf. Der kahle braun gebrannte Schädel des Priesters kam zum Vorschein. Beatrice hob die Arme über den Kopf und holte aus.
     
     
    Berlin
     
    »Kennst du die Insel Lindisfarne?«
    Philip konnte sich nicht entsinnen, je davon gehört zu haben. Doch der andere wartete sein Köpfschütteln erst gar nicht ab. »Blöde Frage!« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Damals, als ich danach gefragt wurde, kannte ich sie auch nicht. Inzwischen…« Er schien zu überlegen, ob er die Information preisgeben konnte. »… war ich sogar schon mehrmals dort.«
    »Wo liegt sie?«
    »Lindisfarne liegt vor der englisch-schottischen Grenze. Man nennt sie auch ›die Heilige Insel‹.«
    »Heilige Insel?«, wiederholte Philip, aber auch diese beiden Worte lösten nichts in ihm aus.
    Der andere sah ihn bedeutsam an. Er holte Luft, dabei gab keine Lunge einen pfeifenden Ton von sich. »Das Schicksal unserer Familie nahm dort seinen Anfang.« Er wählte seine Worte mit Bedacht. Oder kehrte er in seinem Gedächtnis lediglich die Erinnerungen an das zusammen, was er selbst vor 20 Jahren erfahren hatte?
    Vor 20 Jahren!
    Mit einem Mal schwappte ein übermächtiges Schwindelgefühl über Philip hinweg. Als stände er auf den glitschigen Planken eines Bootes, das im Sturm von den Wellen immer weiter vorwärtsgetrieben wurde, ohne einen Steuermann, der es hätte lenken können. Niemand konnte etwas daran ändern: Alles folgte einem bestimmten Ablauf, einem unbekannten Ziel entgegen.
    Er atmete tief durch, und augenblicklich verbiss sich eisige Luft in seinen Rachen. Er hustete. Das Schwindelgefühl klang ab. Zurück blieb die Kälte des Winters, die in seinen Kleidern nistete, seine Gelenke lähmte und sich unaufhaltsam in seinen Körper zu fressen schien. Wahrscheinlich war es nur die unmittelbare Nähe zu seinem eigenen Ich, die alle Schranken zwischen Raum und Zeit aufhob und das Déjà-vu-Gefühl auslöste.
    Der andere sagte: »Alles nahm auf Lindisfarne seinen Anfang.«
    Wieder machte er eine Pause. Am liebsten hätte Philip gebrüllt: Mach es nicht so spannend. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Aber sein Gegenüber wusste das besser als er selbst.
    »Damals, bevor die Wikinger die Insel in Schutt und Asche legten, war Lindisfarne eines der wichtigsten Zentren des Christentums. Angeblich besaß die Insel Magie. Cuthbert, ein Mönch und Einsiedler, wusste davon. Er wusste Dinge, die sonst niemand wusste.«
    »Cuthbert«, wiederholte Philip, kramte in seiner Erinnerung. Der Name sagte ihm nichts.
    »Er war ein Mönch und Wundertäter. Es gibt zahlreiche Legenden über ihn, über die Wunder, die er gewirkt haben soll, und seine Gabe. Er hatte verstanden, dass es mehr gibt als nur Leben und Tod, Erde, Himmel und Hölle.«
    »Ach nee?«, entfuhr es Philip.

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