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Macht des Schicksals - Spindler, E: Macht des Schicksals

Macht des Schicksals - Spindler, E: Macht des Schicksals

Titel: Macht des Schicksals - Spindler, E: Macht des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Spindler
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weißes Hemd und eine braune Strickjacke, die er nicht zugeknöpft hatte.
    Er war ein würdevoller Mann mit grauem Haar, intensiven blauen Augen wie sein Sohn, und einer Ehrfurcht einflößenden Aura. Während Gregory ihn ansah, wie er seinen nächsten Zug plante, fühlte er sich in eine andere Zeit versetzt. Als kleiner Junge war er oft hergekommen, um alleine Billard zu spielen oder seinem Vater in Aktion zuzusehen, während er sich wünschte, der Mann würde sich zu ihm umdrehen, ihn sehen und zu sich winken.
    Komm her, Sohn. Lass uns eine Runde spielen.
    Aber diese Worte hatte er nie gesprochen. Sein Vater hatte ihn in diesem Zimmer nie wirklich zur Kenntnis genommen.
    Gregory beobachtete ihn weiter. Milton hatte sich über den Tisch gebeugt, die Finger seiner linken Hand auf den grünen Filz gelegt. Der Queue lag locker zwischen Daumen und Zeigefinger. Während er seinen Stoß ausrichtete, zog er den Queue langsam zurück und stieß dann die weiße Kugel an, um dann gekonnt die Sechs in der hinteren Ecke zu versenken. Ohne Unterbrechung ging er um den Tisch und nahm wieder Position ein, diesmal visierte er die Zehn an. Auch sie versenkte er.
    Gregory lächelte. Sein alter Herr beherrschte das Spiel noch immer.
    Milton rieb mit einem kurzen Stück blauer Kreide über die Spitze des Queue, als er plötzlich aufsah. Gregory wartete darauf, dass sich der Gesichtsausdruck seines Vaters veränderte, dass er Überraschung oder Verärgerung zeigte, nur nicht diesen gleichbleibenden, neutralen Blick.
    „Hallo, Dad.“ Dieses Wort, das er so selten gesagt hatte, blieb ihm fast im Hals stecken.
    „Gregory.“ Er klang kühl, distanziert. Er hätte ebenso gut einem Fremden gegenüberstehen können. Nein, das stimmt nicht, dachte Gregory. Einem Fremden hätte er mehr Wärme entgegengebracht.
    Als wäre Gregory gar nicht da, richtete Milton seinen Blick wieder auf den Billardtisch, um seinen nächsten Stoß zu wählen.
    Gregory räusperte sich. „Hast du eine Minute Zeit?“
    „Sicher.“ Milton zielte auf die Fünf und sah ihr nach, wie sie Sekunden später in der linken Ecke verschwand.
    Jetzt oder nie, dachte er. Er nahm sich den Rat seiner Tante Willie zu Herzen – „wenn du Zweifel hast, dann spring kopfüber ins Wasser“ – und machte genau das. „Ich brauche deine Hilfe.“
    Er glaubte zu sehen – oder bildete er sich das nur ein? –, dass die völlige Konzentration für einen Sekundenbruchteil gestört war. Dann war dieser Augenblick aber auch schon wieder vorüber. Milton schickte eine weitere Kugel quer über den Filz geradewegs auf die Seitentasche zu.
    Gregory nahm sein Schweigen als Aufforderung zum Reden und erzählte ihm von Ginnies Verhaftung – von der Milton wahrscheinlich längst wusste –, von den Umständen, die sie einunddreißig Jahre zuvor nach Frankreich verschlagen und jetzt wieder in die Staaten zurückgebracht hatten. Er erzählte ihm von Rachel, davon, wie sehr sie ihre Mutter liebte und wie schuldig er sich fühlte, weil er sich in ihr Leben eingemischt hatte.
    „Schuld ist ein nutzloses Gefühl“, erwiderte Milton und versenkte die nächste Kugel.
    Das musst du ja am besten wissen. Gregory wollte sich nicht auf eine Diskussion über den Sinn oder Unsinn von Schuld einlassen. Er ignorierte Miltons Bemerkung einfach. „Ginnies Ehemann hat einen Anwalt aus der Region, einen Mann namens Jake Lindquist, engagiert.“ Er atmete tief durch. „Ich glaube nicht, dass er Ginnie da rausholen kann.“
    Die beiden Männer sahen sich an, und Gregory kämpfte dagegen an zu blinzeln. Blinzeln und vor diesem gewaltigen Mann zurückzuweichen, waren die beiden Schwächen, die er am meisten hasste. Aber diese Tage waren Vergangenheit. Ob es seinem Vater gefiel oder nicht, er würde sich damit abfinden müssen.
    „Und?“ Milton beugte sich wieder über den Tisch.
    „Ich möchte dich bitten, ihre Verteidigung zu übernehmen.“
    Diesmal traf der Ball die Ecke der Tasche und rollte zurück in die Tischmitte. Milton richtete sich langsam auf und sah Gregory wieder durchdringend an. „Nenn mir einen guten Grund.“
    Hätte sich Gregory nicht auf diese Reaktion vorbereitet, dann wäre die Bemerkung und die Art, wie sie ausgesprochen wurde, Grund genug gewesen, um ihn die Flucht ergreifen zu lassen. „Es ist ein hochkarätiger Fall“, sagte er ruhig, „der bereits durch alle Medien gegangen ist, nicht nur lokal, sondern landesweit. Und ab morgen wird die Story wohl auch in jeder europäischen

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