Macht des Schicksals - Spindler, E: Macht des Schicksals
das nicht nur für Winters eine große Neuigkeit, überall in Kalifornien wurde darüber geschrieben.“
Plötzlich wurde eine Tür geöffnet, lachende und kreischende Kinder drängten sich auf den Spielplatz. Die jüngsten waren vielleicht zwei Jahre alt, die ältesten im Teenageralter. Rachel, die immer noch unter Schock stand, beobachtete ein kleines Mädchen mit dunklen Locken, das zur Schaukel lief. Ein kleines Mädchen, das zu niemandem gehört, dachte Rachel wehmütig. So wie sie selbst damals auch.
„Warum erzählen Sie mir das alles? Und warum jetzt?“ fragte Rachel und sah wieder die Nonne an, die neben ihr stand. „Jetzt, nach einunddreißig Jahren?“
„Sie hätten es niemals erfahren sollen, aber gestern kam ein Mann zu mir, der zu wissen schien, dass Alyssa nicht gestorben war. Er wollte etwas über sie in Erfahrung bringen.“
„Wer war dieser Mann?“
Die Nonne griff wieder in ihre Tasche und förderte diesmal eine Visitenkarte zu Tage, die sie Rachel gab.
Die warf einen kurzen Blick darauf und spürte einen erneuten Schock, als sie die Schrift in Goldprägung las: Gregory Shaw – Shaw and Associates. „Gregory“, murmelte sie.
„Kennen Sie ihn?“ fragte die Nonne.
O ja, sie kannte ihn. Ein plötzlich aufbrandendes Schamgefühl ließ sie wegsehen. Sie erinnerte sich nur zu gut an Annies Hochzeit mit Luke Aymes vor sechzehn Jahren, und an Gregory, der sich über sie lustig gemacht hatte.
Am liebsten wäre sie damals im Erdboden versunken, und schließlich war sie zurück ins Haus gelaufen und hatte sich geweigert, Gregorys Entschuldigung anzunehmen. „Ich will dich nie wieder sehen!“ hatte sie geschrien, während sie ihm die Schlafzimmertür vor der Nase zugeschlagen hatte.
Dank Annies kurzlebiger Ehe mit Luke hatte sich Rachels Wunsch erfüllt, trotzdem hatte sie Wochen gebraucht, um sich von diesem erniedrigenden Nachmittag zu erholen und wieder unter Leute zu gehen.
Warum interessierte sich Gregory plötzlich für ihre leibliche Mutter? Soweit sie wusste, war er längst kein kleiner Schnüffler mehr, sondern Eigentümer einer sehr erfolgreichen Agentur. Warum sollte er seine Zeit für einen so unbedeutenden Fall vergeuden? Es sei denn, er erwies jemandem einen Gefallen.
Rachel tippte mit der Visitenkarte auf ihren Handrücken. Würde Annie ihn nicht so sehr hassen, dann hätte Rachel darauf getippt, dass sie ihn engagiert hatte. Etwas derart Hinterhältiges passte genau zu Annie. Aber sie mochte Lukes besten Freund so wenig wie sie selbst. Annie hatte sogar einmal sehr überzeugend geäußert, sie würde sich nicht einmal um ihn kümmern, wenn er auf der Straße lag und verblutete.
„Ja, ich kenne ihn“, beantwortete sie schließlich die Frage der Nonne. Sie sah auf, besorgt, dass Gregory die Klosterschwester dazu überredet haben könnte, ihm Auskunft zu geben. „Haben Sie Mr. Shaw gesagt, dass ich lebe?“ fragte sie.
„Nein, es stand mir nicht zu, ihm irgendetwas zu sagen. Und da ich die einzige noch lebende Zeugin bin, wird er hier nicht hinter die Wahrheit kommen.“ Sie umfasste wieder ihr Kreuz, als gebe es ihr die Stärke, um der Last ihrer Lüge standzuhalten. „Ich bin allerdings besorgt, dass er für Sal Dassante arbeiten könnte.“
„Warum? Hat er Sal erwähnt?“
„Nein. Aber als Ihre Mutter verschwand, war Sal der Einzige, der nicht an ihren Tod glaubte. Er beharrte auf der Ansicht, dass sie den Unfall inszeniert hatte, um entkommen zu können. Er war so entschlossen, sie zu finden, dass er eine Belohnung von 50.000 Dollar aussetzte, damit sie gefasst wurde. Schließlich gab er es auf. Aber jetzt scheint die Suche wieder angelaufen zu sein, sonst wäre dieser Mr. Shaw nicht hergekommen, um nach Alyssa zu fragen.“
Warum nur? überlegte Rachel. Und noch wichtiger, was würde geschehen, wenn er herausfand, dass sie die Tochter von Alyssa Dassante war? Würde er sie bloßstellen? Würde er seinem Auftraggeber seine Erkenntnisse mitteilen?
Rachel fühlte Panik in sich aufsteigen, als sie darüber nachdachte, welchen Schaden das für sie selbst und auch für Spaulding Vineyards bedeuten konnte. Was, wenn sie dadurch das Weingut verlor?
Wieder kam ihr der Gedanke, dass Annie hinter dem Ganzen stecken konnte, und wieder verwarf sie ihn. Annie konnte nichts über Alyssa wissen. Und wenn doch, dann wäre sie niemals zu Gregory gegangen. Zum einen hasste sie ihn, zum anderen wusste sie, dass er sich niemals auf etwas so Schäbiges einlassen würde. Er
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