Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
gewesen wäre, dass der ganze Spuk nach zwei Jahren schon wieder vorbei ist, hätte er gemütlich in seinem überschaubaren Laden weiter getüftelt und gewartet, bis die Kunden zu ihm zurückkommen.
So aber hat er Insolvenz angemeldet, sehr kurz nur nach dem Höhepunkt seines Erfolges. Und jahrelang seine Rechtschaffenheit verteidigt, die eine Strafanzeige und mehr als zwanzig anhängige Verfahren infrage stellten.
Für alle einflussreichen Akteure tritt Macht in unterschiedlicher Gestalt in Erscheinung. Macht zieht Macht an. Machtstreben forciert Konkurrenzkampf. Erhöht die Wahrscheinlichkeit des Unterliegens. Nicht nur im Moment des Absturzes, sondern auch im Alltag gibt es immer die Konfrontation mit der machtvolleren Instanz. Der Mächtige wird zum Machtlosen, Machtausübung wird von Machtempfängnis abgelöst. Vor und zurück. Die Handelnden wandeln zwischen den Rollen.
Einer der Fahrstühle zur Macht fährt in Berlin, am Axel-Springer-Platz. Udo Röbel ist drei Jahre lang der erste Liftboy gewesen, ein Eskorteur grandioser Aufstiege und fulminanter Abstürze. Bild -Chefredakteure machen Menschen zu Stars und Stars zu Versagern, nominieren Bundestrainer und entlassen Präsidenten. So zumindest ist die inoffizielle Selbstbeschreibung.
Udo Röbel sagt von sich, er sei ein sensibler Kerl. Um präzise zu sein, sagt er: »Der Röbel ist ein sensibler Kerl«. Er spricht von sich in der dritten Person. Liebevoll zumeist, der Röbel ist ein enger Freund, die beiden haben sich eingerichtet in ihrer harmonischen Koexistenz. Und respektieren wechselseitig ihre blinden Flecken.
Der Udo Röbel, der mir in gepflegter Schluffigkeit in einem lauschigen Café an der Hamburger Außenalster gegenübersitzt, ist ein cowboyhafter Rock-’n’-Roller, dem die eine oder andere ausschweifende Blues-Session ebenso anzusehen ist wie seine pralle Lebensgeschichte.
Der Röbel, der habe ein Maß an Eitelkeit, eröffnet er offensiv die Unterhaltung. Aber Macht, »darüber wollen wir ja reden, nicht?«, damit konnte er noch nie etwas anfangen. Auch nicht in der Zeit, als er in der bundesdeutschen Machtpyramide ziemlich weit oben stand.
Er ist jetzt Autor, sein aktueller Roman »Der rote Reiter« ist just erschienen. Und Musiker, »gerade vor allem passiv, also Plattenaufleger«. Zudem bastelt er an einem Reise-App und an einem Konzept für christliche Zeitungen. Dem Sonntag möchte er zu neuer Bedeutung verhelfen. Dafür kann er sich jetzt begeistern.
Ob er früher auch Menschen zu Bedeutung verholfen hat, als er es konnte, versuche ich mich etwas hölzern zur Ausgangsthese zurückzutasten. »Klar«, war er in der Lage, Macht zu verleihen. Aber auf keinen Fall sei es so gewesen wie heute, »mit all den scheinheiligen Allianzen«. »Da bekommen Leute erst auf die Backe und werden danach zu Titanen gemacht«, schnaubt er und winkt verächtlich ab. »Das ist schon lange nicht mehr meine Welt.«
Seine Welt ist geprägt von einer Stunde in Köln. Von einer Szene inmitten des live reportierten Gladbecker Geiseldramas, die Zeitgeschichte geschrieben und den Begriff der deutschen Medienethik ins Wanken gebracht hat. Noch heute diskutieren angehende Journalisten darüber, ob das Handeln von Udo Röbel ein Akt gewissenloser Sensationsgier oder couragierter Deeskalation gewesen ist.
Er hat keine eindeutige Antwort auf die Frage aller Fragen. Udo Röbel schwieg lange. Zwanzig Jahre lang. Zwanzig lange Jahre, während der erst mal für sich selbst herausfinden wollte, warum er in das Auto der Entführer gestiegen ist. Ohnehin sei vorher niemand bereit gewesen, seine Version zu hören. Heute ist er in der Lage, unumwunden zu sagen: »Ich wollte die Geschichte.« Er wünscht sich nicht mehr, nicht eingestiegen zu sein, nicht mal im Wissen all dessen, was daraufhin folgte. Das war in den schmerzlichen Jahren natürlich anders. Er habe Verantwortung gespürt, als der Entführer Rösler ihn mit der Waffe in der Hand und der verzweifelten Geisel im Auto fragte: »Kannst du uns hier rausbringen?« Heute glaubt er, er habe diese Verantwortung subjektiv überhöht. »Aber das ist alles rational.« Die Überanalyse ist ihm ein wichtiger Partner bei der Verdrängung.
Udo Röbel war das Gesicht eines unvergleichlichen Presseskandals, Symbol eines degenerierten, menschenverachtenden Journalismus, wütend angeklagt von der eigenen Zunft. »Ich bin durch die Medienmangel gedreht worden, habe die Macht von der anderen Seite auf brutalstmögliche Weise
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