Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
gespürt«. Und auch die Ohnmacht, wenn die eigene Sicht der Dinge keine Berücksichtigung findet. Er hat sich nicht geschont in der Aufarbeitung. »Storygeilheit« und »Selbstüberhöhung« sind nur zwei der ungnädigen Urteile seiner Selbstanklage. Aber es gab eben auch noch die andere Seite, die keiner sehen wollte. Die keiner beurteilen könne, der nicht die aggressive Unberechenbarkeit der desperaten Entführer erlebt hat. So wie er.
Der Buhmann einer ganzen Branche ist er gewesen, der »Reporter des Satans«. Er hat einen Leserbrief schreiben wollen nach dieser Headline, um sich zu wehren, »aber dann habe ich gedacht: Was für ein Schwachsinn, das musst du jetzt aushalten«. Ein Leserbrief, ein stumpfes Schwert in der Hand desjenigen, der es gewohnt ist, die Schlagzeilen der Nation zu texten.
Die entscheidende Frage sitzt längst mit uns am Tisch: Wie er nach dieser Erfahrung hat Bild -Chef werden können, mit all den Ebenen von Verantwortung für Menschen und Biographien? Ob er es vielmehr wegen seiner Geschichte geworden ist? Hat er die Rolle deshalb anders interpretiert? Aber für diese Gedanken braucht es ein achtsames Herantasten. Und vor allem Zeit, den Kontext zu erklären.
Heute nimmt Udo Röbel wieder viele Medienanfragen an, vor allem zu den runden Jahrestagen des Geiseldramas ist er ein gefragter Gast. Er sitzt dann in Talkshows und erträgt wieder und wieder die unerträgliche Bilderrevue, die ewiggleichen Fragen nach Motivation und Moral. Der, der da sitzt, ist er. Die Exponiertheit, die dieses unauslöschbare Momentum seiner Vita verliehen hat, verortet er indes uneingeschränkt in der dritten Person.
Der Röbel war ein echter Straßenköter, einst der begehrteste Titel einer sagenumwobenen Epoche des Reportertums. Immer getrieben von der Faszination an Abgründen, die ihn eigentlich Kriminalkommissar werden lassen wollte. Aber er ist keiner für die Beamtenlaufbahn. Keiner, der »Blumen in Poesiealben malt«. Dass er »Reporter kann«, Geschichten aufsammeln, die das Leben jeden Tag abwirft, den Puls der Zeit und der Menschen erspüren, das hat er schnell gemerkt. Der Starvolontär sei er damals gewesen, »also für Rheinpfalzverhältnisse«, versucht er das Aufblitzen von Breitbeinigkeit flugs wieder zu kassieren. Nach der Bundeswehrzeit ist er schnell Chef vom Dienst geworden, bei einem Verlag für Militärpublikationen, »eine einzige vom Karrierismus getriebene Entscheidung«. Ein Irrweg. Also hat er hingeschmissen und als freier Journalist für Agenturen gearbeitet. Mit Frau und Kind und ohne feste Aufträge. Das überschaubare Honorar hat er zur Hälfte für Zeitungen ausgegeben, um zu verfolgen, »wo überall meine Storys abgedruckt sind«.
Wenn er über die einschneidenden Veränderungen seines Lebens philosophiert, bemüht er stets das Bild einer Schwangerschaft, die ihre Ermüdungs- und Orientierungsprozesse in sich trägt und am Ende eine Entscheidung gebärt. Schwangerschaften gab es viele in seinem Leben. Mehr als Vaterschaften. »Eindeutig«. Darüber amüsiert er sich köstlich.
Udo Röbel holt gern aus und zählt die einzelnen Stationen seines zentrifugierten Lebens in aufmüpfiger Ausführlichkeit auf. Man müsse nun mal auch die Vorgeschichte zu Gladbeck kennen, genauso wie zu seiner Liaison mit Bild und »der Sache in Sebnitz«. Es sei wichtig zu verstehen, was für ein Mann er ist und welche Macht ihn so sehr beherrscht, dass Macht ihm immer fremd bleiben müsse.
In seinen Schilderungen beharken sich immer wieder der Mensch und der Reporter, der berufliche Antrieb mit der frühkindlichen Prägung und die professionellen Zwänge mit den Nöten eines sentimentalen Cowboys.
Eigentlich sei er ein klassischer Achtundsechziger gewesen damals, kein Radikaler, ziemlich unideologisch, aber immerhin Gesinnungslinker mit den kausalen Vorurteilen gegen Springer. Bis er zwei Bild -Kollegen auf der Straße traf, die seiner Vorstellung so gar nicht entsprachen. Jungs wie er waren das, das hat ihn neugierig gemacht. Irgendwann haben die gesagt: »Komm doch mit. Du hast ein Telefon, bring Geschichten.« »Da war ich drin, verknappt er seine Springer-Sozialisation in einer Bild -typischen Satzkonstruktion. »Über Nacht hatte ich meinen Traumjob.« Die glücklichste Zeit seines Berufslebens sei das gewesen. Keine Hetze, kein Druck: »Eine Geschichte war eine Geschichte, wenn Bild sie machte.«
Er versteht meinen fragenden Blick und unterbricht sich prompt: Macht sei das, natürlich.
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