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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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haben sich angeboten, um diese Wahrnehmungslücke zu schließen, und »zur Beruhigung meiner Umwelt« hat er sie manches Mal auch angehört. Überzeugen konnten sie ihn nicht. Da, wo das Gestalten des eigenen Ansehens die Haltung in der Sache zu korrumpieren drohte, sei er immer ausgestiegen. Auch wenn er sich im Verlauf seiner Zeit als Ministerpräsident immer häufiger fragte, »warum muss ausgerechnet ich das jetzt wieder sagen?«. Lieber wäre es ihm schon gewesen zu gefallen. So gesehen zu werden, wie er wirklich ist. Seine Freundschaft zum Dalai Lama zum Beispiel ist keine PR-Geschichte. Aber dass die Berichterstattung dazu in den Augen mancher noch mal ein anderes Roland-Koch-Bild zeichnete, hat er gern mitgenommen. Die Stichelei zu seinen Anzügen, über die er immer wieder lesen musste, sie säßen an ihm, »als seien sie bei einem Schreiner bestellt«, hat ihn amüsiert. Er trug sie trotzig und fand sich darin völlig ok. Die Kritik an seiner menschlichen Eignung als Volksvertreter hingegen hat ihn tief getroffen, zurückschrecken lassen vor der Provokation hat sie ihn nicht.
    Oft sind es diejenigen, die machtvoll entscheiden und ihre Überzeugungen und die inhaltlichen Erfordernisse ihres Handelns über die Vermittelbarkeit in der Öffentlichkeit und die darauf folgende Bewertung stellen, die mit vehementem Widerstand und einem lädierten Image zu kämpfen oder vielmehr zu leben haben. Und auch dazu bereit sind. Sie nehmen es in Kauf, meistens unter Schmerzen, auch wenn sie nicht darüber sprechen.
    Roland Koch spricht jetzt über seine Schmerzen, aber er weiß auch, dass sein Image kein Missverständnis ist. Er hat sein Bild selbst gestaltet. Mit wirkungsreichen Fehlentscheidungen, wie der Falschaussage in der CDU-Parteispendenaffäre. »Eine Unachtsamkeit, die als Lüge explodierte«, wie er die Sache nennt. »Ein politisches Großschattenereignis, das ein wochenlanges Katastrophenmanagement nach sich zog, in dem man jeden Tag sterben konnte.« Er meint sich, wenn er »man« sagt, in seinem Wortsinn gestorben ist in den Nachwehen aber sein Freund Franz Josef Jung, der damalige Chef der Staatskanzlei und spätere Bundesminister. Dessen Rücktritt, von manchen als Bauernopfer bezeichnet, habe ihn zu Tränen gerührt, erinnern sich Beteiligte. Er selbst bekennt: »Das hat mir sehr weh getan.«
    Er hat sich im Sinne seines politischen Aufstiegs und des Machterhaltes immer wieder ganz bewusst zu Grenzüberschreitungen entschieden. Die Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft war für ihn kein Wahlkampfthema, sondern eine programmatische Leitlinie. Und doch hat er Stimmen damit gewonnen, viele von den Falschen. »Hätte in dieser Zeit ein Asylbewerberheim gebrannt, Sie können sich vorstellen, was dann los gewesen wäre«, räsoniert er betont unaufgeregt über sein Spiel mit dem Feuer. Seine Personenschützer waren angespannt in jenen Tagen. Angespannter als er. Grenzen hat er in seiner Amtszeit so häufig »geschrammt« wie die eigenen Skrupel, das weiß er nur zu gut. Er wünschte sich, auch die Errungenschaften würden gesehen. Dass Hessen einen Preis für vorbildliche Integrationsarbeit vom türkischen Ministerpräsidenten bekommen hat zum Beispiel. Doch er mag sich nicht darüber grämen, dass der Applaus überschaubar bleibt, wie auch die Meldungen dieser Nachrichten in den wichtigen Magazinen. Wäre objektiv und weniger tendenziell über seine Politik berichtet, seine Interviews angemessen gedeutet worden, glaubt er, es hätte keine Facebook-Initiative gegeben, mit dem Titel: »Ich bremse auch für Roland Koch«. Dennoch schmunzelt er heute darüber, dass seine Söhne sich nächtelang in die virtuellen Diskussionen eingeschaltet haben. Als allerdings eine Tageszeitung ein Schnittmuster veröffentlichte, mit seinem Kopf und der Anleitung: »So drehen Sie Koch den Hals um«, war es mit seinem pflichtschuldigen Langmut vorbei. Er hat sich gewehrt. Und seine Frau das Abo gekündigt. Da war für ihn der Punkt überschritten, an dem legitime Kritik in Verantwortungslosigkeit abgleitet, die unabsehbare Folgen haben kann. Der Unterschied zu seinen Wahlkampfmanövern? »Ich hatte die rote Linie stets im Blick.« Auch wenn er sie dennoch bisweilen überschritten hat.
    Roland Koch sagt all das mit einer konstanten Präzision und scheinbar unerschütterlicher Selbstsicherheit. Auch in seiner geschliffenen Selbstkritik lässt er keinerlei Zweifel aufkommen. Die unveränderte Sitzposition während des

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