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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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Tag, gemeinsam mit ihrem Bruder, habe sie die ablehnenden Blicke der Menschen im Restaurant gespürt, erzählt sie und genießt nun sichtlich das Desinteresse des Cafépublikums.
    Tanja Gönner ist Juristin, spezialisiert auf Insolvenzrecht und eigentlich schon immer Politikerin. In der Berliner CDU gilt sie als eines der größten politischen Talente. Doch gerade ist sie ein Talent auf der Ersatzbank. Unsicher, ob sie noch in der richtigen Mannschaft spielt. Zu häufig ist sie zuletzt bei entscheidenden Spielen nicht nominiert worden. »Meine Politik ist derzeit in meiner Partei nicht mehrheitsfähig«, erklärt sie ihren Ausstieg bei ihrer Abschiedstournee durch die Ortsverbände. Sie hat erstmal die Bühne gewechselt, weil sie in einem Alter ist, »in dem ich beruflich noch mal was reißen will«.
    Der Einschlag, der einen Riss in das sorgsam erschaffene Bauwerk ihrer Karriere brachte, war einer derer, zu dem man noch Jahre später einen persönlichen Kontext herzustellen imstande ist. Ein Ereignis, dessen Auswirkungen so überwältigend und groß sind, dass die unzähligen kleinen Kausalitäten ungesehen bleiben. Es war der Tag, an dem ein Tsunami in Japan die Nuklearkatastrophe in Fukushima auslöste und damit nicht nur die weltweite Energiepolitik, sondern auch die Kräfteverhältnisse der bevorstehenden Landtagswahl in Baden-Württemberg fundamental veränderte. Nach monatelangem Kampf um Stuttgart 21 und die Gunst des seit achtundfünfzig Jahren verlässlichen christdemokratischen Wahlvolkes brachte ein Akt höherer Gewalt die Entscheidung.
    In den Wochen zuvor war sie, die Ministerin für Umwelt, Verkehr und Soziales des Landes Baden-Württemberg, zur Symbolfigur der Auseinandersetzung über das umzankte Bahnhofsbauprojekt geworden. Täglich warb sie in den Abendnachrichten, in Talkshows und an Stammtischen für einen konstruktiven Dialog zur verfahrenen Lage. Selbst die zornigen Kritiker des Projektes und auch politische Gegner schätzten ihre lösungsorientierte Sachlichkeit. Lobeshymnen auf die ästhetisch wertvolle Spielweise empfinden die Unterlegenen oft als besonders demütigend.
    Tanja Gönner ist nicht von sich aus gegangen. Es gab keinen Anlass für einen eleganten Ausstieg. Sie wurde abgewählt. Im Verbund mit ihrer Partei aus der mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Regierungsverantwortung. Abgelehnt dann bei ihrer Kandidatur zum Fraktionsvorsitz, von der Mehrheit der Abgeordneten. Und später auch bei ihrer Bewerbung für das Spitzenamt auf Bezirksebene. Ohne persönliche Fehler, ohne politische Skandale und ohne Amtsverdrossenheit. Eine hochgelobte Politikerin ohne Platz auf der Führungsebene ihrer Partei. Dass ihr Name immer wieder fällt im Zusammenhang mit dem gestürzten Umweltminister Norbert Röttgen und der Neubesetzung des Bundesumweltministeriums, interessiere sie nur am Rande, insinuiert sie. Aber die schmeichelnde Bestätigung, die sie dabei fühlt, ist offenkundig. Auch wenn jetzt erst mal Schluss ist mit politischen Ämtern.
    Die Distanz, mit der sie inzwischen über die turbulenten Monate rund um die telegene Eskalation und Schlichtung des Bahnhofstreits zu sprechen imstande ist, über die prekären Tage des Wahlkampfes und vor allem ihre beiden ganz persönlichen Niederlagen in den Untiefen parteipolitischer Rangeleien, vergrößert sich parallel zur wachsenden Gewissheit der neuen Aufgabe. Dennoch dimmt sie sich selbst in den Augenblicken aufflackernder Vorfreude bis zur endgültigen Entscheidung auf Zweckpessimismus herunter. Die Lektionen der Vergangenheit haben sie vorsichtig werden lassen. Aufmerksam beobachtet sie die Reaktionen, als die Spekulationen über ihre Besetzung erstmals publik werden. Und registriert die öffentliche Unaufgeregtheit mit Genugtuung.
    Mit dreiundvierzig Jahren Chefin einer Organisation wie der »Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit« zu sein, die als Dienstleister der Bundesregierung weltweite Entwicklungshilfeprojekte verwirklicht und so etwas wie die Zweigstelle des Entwicklungsministeriums ist, neunzehntausend Mitarbeiter zu führen und zwei Milliarden Euro Gesamtetat zu verantworten, ist eine große Aufgabe. Eine Bestätigung ihres beachtlichen beruflichen Lebenslaufes. Aber für Tanja Gönner ist es mehr. Es ist der versöhnliche Abschluss einer Zeit, die sie durch das komplette Spektrum politischer Erfahrungswelten katapultierte. Und einer monatelangen Suche nach der Akzeptanz des Unvorstellbaren.
    Als sie endlich in der

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