Macht Musik schlau?
führte. Vielleicht war er begabter als Nannerl. Möglich ist aber auch, dass er lernwilliger und gefügiger war und den strengen Anweisungen seines Vaters eher Folge leistete als seine Schwester. Vielleicht war er auch motivierter als seine Schwester und hatte Freude an der Musik. Wir wissen es nicht. Allerdings ist sehr wahrscheinlich, dass Wolfgang Amadeus intensiv geübt haben muss. Denn Musik zu machen war der Broterwerb der Familie, und deshalb musste dieses «Handwerk» erhalten und optimiert werden, um den Broterwerb zu sichern und neue «Geschäftsbereiche» zu erschlieÃen. Was Wolfgang Amadeus sicher neben seiner Motivation und dem besonderen Fokus auf die Musik ebenfalls noch ausmachte, war seine Kreativität, die es ihm erlaubte, andere Kompositionswege als bislang zu beschreiten.
Insofern vereinigten sich bei Wolfgang Amadeus verschiedene günstige Voraussetzungen: Talent, ein exzellenter Lehrer (Vater), ein sicheres Elternhaus, hohe Motivation, wahrscheinlich Freude (oder Fixierung) auf die Musik, frühes und intensives Ãben von musikalischen Fertigkeiten und Kreativität. Als Katalysator mögen auch die finanziellen Notwendigkeiten gedient haben, die eine schnelle Produktion von Musikstücken notwendig machten. Es wäre hilfreicher, wenn man die historische Figur Wolfgang Amadeus Mozart zumindest teilweise von ihrem Mythos befreien würde. Mythen werden vom staunenden Publikum erschaffen, das eine Leistung in der Regel nur als fertiges Produkt präsentiert bekommt und den Weg zu dieser Leistung nicht nachvollziehen kann. AuÃergewöhnliche Leistungen erscheinen uns dann unbegreiflich, und wir greifen zu schnell auf die alles erklärende Ursachenzuschreibung einer Sonderbegabung oder gar des Genies zurück. Im Grunde ist der Begriff Genie überhaupt nicht hilfreich, um das facettenreiche Leben eines Menschen und die von ihm erbrachten Leistungen zu beschreiben und zu verstehen. Menschliche Leistungen sind immer das Produkt vielfältiger Prozesse, die in komplizierter Art und Weise ineinandergreifen, sich gegenseitig bedingen und möglicherweise zu einer explosiven Mischung von Leistungen werden, deren Zustandekommen uns zunächst unbegreiflich erscheint. Mythen verleiten auch dazu, Leistungen über- oder gar falsch zu bewerten. Davon berichten sogar einige Nobelpreisträger, die festgestellt haben, dass ihnen nach dem Nobelpreis eine enorme Urteilsfähigkeit selbst über ihr eigenes Fachgebiet hinaus zugeschrieben wird. Schlimmer ist jedoch, dass der Mythos des Genies auch eine hervorragende Möglichkeit zur Beruhigung über die eigeneUnzulänglichkeit bietet, denn das Besondere an Genies ist, dass sie selten sind. Wenn man selbst vermeintlich keine auÃerordentlichen Leistungen erbringt, kann dies mit einer mangelnden Begabung oder gar mit nicht vorhandenem Genie erklärt werden. Die Lernhypothese und die damit verbundene Plastizität des menschlichen Gehirns bietet allerdings die Möglichkeit, die Existenz auÃergewöhnlicher Leistungen umzudeuten und zu nutzen. Wenn auÃergewöhnliche Leistungen durch Training, Hingabe und gute Unterweisung bedingt sind, können wir dann nicht alle solche Leistungen erbringen?
10.2
Expertise â Ãben, Ãben, Ãben
Professionelle Musiker zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie besonders früh mit ihrem Musiktraining beginnen und dieses Training auch bis ins hohe Alter mehrere Stunden am Tag ausüben. Die enorme Trainingsintensität ist in verschiedenen Studien eindrücklich beschrieben worden. Eine bemerkenswerte Ãbersichtsarbeit hat der mittlerweile berühmte schwedische Psychologe Anders Ericsson mit seinen Kollegen 1993 in der angesehenen Zeitschrift
Psychological Review
publiziert (Ericsson, Krampe und Clemens, 1993). In dieser konnten sie eindrücklich demonstrieren, dass die Güte, ja sogar die Exzellenz des Musizierens von der Anzahl der Trainingsstunden abhängt. Die Autoren haben z.B. die akkumulierten, also im Verlauf der Zeit aufgehäuften, Trainingsstunden mit der Geige für verschiedene Altersklassen berechnet. Betrachtet man den gesamten Trainingsaufwand der angehenden Geiger bis zum 18. Lebensjahr, ergibt sich, dass die besten Geiger im Durchschnitt zirka 7400 Trainingsstunden aufgewendet hatten, während die guten Geiger lediglich zirka 5300 Stunden trainierten. Geiger, welche später den Beruf des Musiklehrers
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