Macht Musik schlau?
ausübten, kamen im Alter von 18 Jahren auf eine summierte Trainingszeit von zirka 3400 Stunden (s. Abb. 58 ). Diese Studie belegt eindrücklich, dass die Trainingsintensität erheblich die Leistungsfähigkeit als Geiger bestimmt. Zu ähnlichen Ergebnissen kam der britische Musikwissenschaftler Sloboda und sein Kollege Davidson (Sloboda und Davidson, 1996), die zeigen konnten, dass die Abgangsnoten von Musikstudenten der angesehenen Londoner Royal Music School vom Trainingsaufwand während des Studiums abhingen. Diese Befunde sind insofern bemerkenswert, als sie zeigen, dass selbst als begabt geltendeMusiker â denn nur die schaffen die Aufnahmeprüfungen auf diese Musikschule â ihre auÃerordentlichen Leistungen durch viel und insbesondere frühes Training entwickeln.
Abbildung 58: Schematische Darstellung der Ergebnisse von Ericsson et al. (1993).
10.3
Gehirne wie Knetmasse
Wenn die Güte des Musizierens (hier des Geigenspiels) von der Häufigkeit des Ãbens abhängt, dann fragt man sich natürlich, ob diese immense Trainingsintensität ihre Spuren im Gehirn hinterlässt. Dies ist in der Tat der Fall, denn die Hirngebiete, die an der Kontrolle des Musizierens beteiligt sind, verändern sich in vielfältiger Art und Weise. Den ersten Beleg für einen solchen Trainingseffekt hat die Konstanzer Arbeitsgruppe um Thomas Elbert publiziert (Elbert, Pantev, Wienbruch, Rockstroh und Taub, 1995). Sie haben mittels der Magnetenzephalographie(MEG) die neurophysiologische Aktivität im sensomotorischen Areal der linken Hand bei Geigern und Nichtmusikern gemessen. Mittels der MEG-Technik kann man kleinste magnetische Felder an der Schädeloberfläche messen, ohne dass die Versuchspersonen unangenehmen Prozeduren ausgesetzt sind. Die Konstanzer Kollegen haben die einzelnen Finger der linken Hand durch Druckreize stimuliert und nach jeder Berührung anhand der magnetischen Felder über dem Hirngebiet, das für die Verarbeitung der Berührungsreize verantwortlich ist, die neurophysiologischen Reaktionen gemessen. Anhand dieser Messwerte konnten sie belegen, dass bei den Geigern die sensomotorische Repräsentation 57 der linken Hand deutlich gröÃer ist als bei Nichtmusikern (s. Abb. 59 ). Auch die Stärke der neurophysiologischen Reaktion war bei den Geigern deutlich gröÃer, was darauf hinweist, dass gröÃere Nervenzellgruppen an der Verarbeitung der Druckinformationen beteiligt sind. Besonders interessant ist auch der Befund, dass keine Unterschiede für die rechte Hand festgestellt wurden. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, als Geiger die Finger der linken Hand besonders trainieren, während sie mit der rechten Hand den Bogen führen und demzufolge die Finger der rechten Hand weniger beanspruchen. Bei Geigenspielern sind die sensomotorischen Repräsentationen der linken Hand gröÃer und die neurophysiologischen Reaktionen in diesem Gebiet stärker, weil Geiger ihre linke Hand speziell trainieren. Man nennt dieses Phänomen kortikale Reorganisation, um damit auszudrücken, dass sich die Nervenzellgruppen, die für diese Funktionen verantwortlich sind, an die neuen Kontrollanforderungen angepasst haben. Diese Anpassungen können effizientere Verbindungen zwischen den beteiligten Nervenzellen oder andere physiologische oder anatomische Veränderungen sein. Besonders wichtig und geradezu spektakulär ist jedoch folgendes Ergebnis dieses Experimentes. Die Wissenschaftler konnten belegen, dass das Ausmaà dieser kortikalen Reorganisation vom Alter des Musikers zu Beginn des Musiktrainings abhing.
Abbildung 59: Schematische Darstellung der Befunde von Elbert und Kollegen (1995). Links erkennt man ein Modellgehirn, in das die ungefähre Position des sensomotorischen Kortex eingetragen ist. Die kleinere Ellipse repräsentiert das kleinere Areal bei Nichtmusikern. Rechts ist der Zusammenhang zwischen der neuronalen Aktivität im sensomotorischen Kortex nach Stimulation der Finger und dem Beginn des Musiktrainings dargestellt. Die Linie repräsentiert die Regression. Die offenen Kreise repräsentieren die Nichtmusiker.
Je früher nämlich die Geiger mit ihrer Ausbildung begonnen hatten, desto ausgeprägter und gröÃer war die kortikale Reorganisation.
Diesen interessanten und bemerkenswerten Befund konnten wir im Rahmen einer anatomischen Studie an Gehirnen von Profimusikern ergänzen bzw.
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