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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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die richtigen Töne zu entlocken. Mit großer Wahrscheinlichkeit deutet dieser Befund auf die funktionale und durch Training modulierte Spezialisierung des rechten Handmotorareals bei Streichern hin, denn Streicher müssen über besonders geschickte Finger der linken Hand verfügen.
    Bereits 1995 hatte unsere Arbeitsgruppe ein Ergebnis veröffentlicht, das ebenfalls eine erfahrungsabhängige Veränderung von Hirnstrukturen nahelegt (Schlaug, Jancke, Huang, Staiger und Steinmetz, 1995). Wir hatten damals das Corpus callosum (den Balken; s. Abb. 61 ; vgl. auch Kap. 8 u. Abb. 53 , S. 295)) der Gehirne von Profimusikern genauer vermessen. Das Corpus callosum ist eigentlich kein eigenständiges Hirngebiet, sondern ein Faserbündel, in dem viele «Kabel» zusammengefasst sind, welche die beiden Hirnhälften miteinander verbinden.
    Obwohl dieses Faserbündel recht groß ist, werden darüber nur rund 2 % aller Nervenzellen beider Hirnhemisphären miteinander verbunden. Allerdings werden über Querverbindungen weit mehr Neurone erreicht. Anhand der Schnittbilder, die wir von den Gehirnen angefertigt hatten, haben wir dann die Fläche des Balkens vermessen (s. Abb. 61 ). Die Fläche des Corpus callosum hängt mit der Anzahl und der Dicke der «Kabel» zusammen, die darin verlaufen. Je mehr «Kabel» und je dicker die «Kabel», desto größer ist auch die Fläche des Balkens, die man auf den MR-Schnittbildern messen kann. Hierbei muss man bedenken, dass die Dicke und Anzahl der «Kabel» wesentlich die Geschwindigkeit und Qualität der Informationsübertragung mitbestimmen. Je dicker das «Kabelsystem» und je zahlreicher die darin verlaufenden «Kabel», desto schneller und effizienter werden die Informationen zwischen den Hemisphären ausgetauscht. Die «Kabel», die durch den Balken verlaufen, verbinden immer ganz bestimmte Hirngebiete beider Hemisphären miteinander. Am hintersten Ende des Balkens findet man überwiegend «Kabel», welche die Sehzentren beider Hirnhälften mit Informationen versorgen. Diese «Kabel» sind besonders dick und leiten demzufolge dieelektrischen Informationen sehr schnell (ca. zwei Millisekunden) von einer zur anderen Hemisphäre. Diesen dicken Teil des Balkens nennen wir in der anatomischen Fachsprache das Splenium. Die hohe Übertragungsgeschwindigkeit in diesem Teil des Balkens, die durch die besondere Dicke der «Kabel» gewährleistet wird, ist besonders wichtig, um die in beiden Sehzentren abgebildeten visuellen Informationen zusammenzuführen, damit ein konstantes Abbild der Realität entsteht. Jeweils ein unabhängiges Abbild der visuellen Welt in jeder Hemisphäre zu haben, wäre nicht sehr angenehm, denn man würde dann Doppelbilder sehen. Wie auch immer, etwa einen Zentimeter vor dem Splenium befinden sich «Kabel», die Nervenzellen des Scheitel- und Schläfenlappens miteinander verbinden. Diese «Kabel» sind deutlich dünner und deshalb langsamer leitend. Diese Stelle wird auch Isthmus (gr.:
isthmos =
schmaler Zugang, Enge) genannt, weil sie auf den Schnittbildern des Gehirns wie eine Enge erscheint. Etwas weiter vorne befinden sich «Kabel», die vor allem Nervenzellen des Schläfenlappens miteinander verbinden. Dieser Teil des Balkens erscheint lang und dünn und wird deshalb auch als Stamm oder in der Fachsprache als Truncus (lat.:
truncus
= Baumstamm)bezeichnet. Wenn wir dann etwas weiter nach vorne gehen, erkennen wir, dass der Balken sich biegt wie ein Knie (lat.:
genu
= Knie), um dann ganz weit vorne spitz wie ein Schnabel (lat.:
rostrum =
Schnabel) zu enden. Durch diese Hirngebiete verlaufen vor allem «Kabel», die das Stirnhirn beider Hemisphären miteinander verbinden. In diesen Stirnhirnbereichen befinden sich Module, die für die motorische Kontrolle der Hände und Beine, aber auch für die Kontrolle der Aufmerksamkeit zuständig sind. Gerade diese Balkenbereiche sind bei Profimusikern besonders groß und dick, und zwar nicht bei allen Profimusikern, sondern insbesondere bei jenen, die vor dem 7. Lebensjahr mit dem Musiktraining begonnen haben (vgl. Abb. 61 ). Dieser anatomische Unterschied könnte damit zusammenhängen, dass die Musiker insbesondere bei der Kontrolle ihrer Motorik und bei der Kontrolle der Aufmerksamkeit beide Hemisphären quasi zusammenschalten und/oder miteinander synchronisieren. Dass

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