Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
Vom Netzwerk:
grauen Substanz im hinteren Hippokampus (s. Abb. 63 ). Ähnlich wie bei den Musikern scheint auch hier die Häufigkeit und Dauer des Lernens mit charakteristischen Veränderungen in bestimmten Hirnstrukturen einherzugehen. Je häufiger die Orientierungsleistung genutzt und damit trainiert wird, desto stärker verändert sich auch das Hirngebiet, welches für die Kontrolle genau dieser Funktion spezialisiert ist, in diesem Fall der hintere Hippokampus, der eine wesentliche «Lernzentrale» gerade für das Orientierungslernen ist.
    Das ist nicht der einzige aktuelle Befund, der plastische Veränderungen in der Hirnanatomie infolge von spezifischen Lernerfahrungen belegt. In einer anderen Studie wurden 24 gesunde junge Versuchspersonen (Durchschnittsalter rund 22 Jahre) per Zufall zwei Versuchsgruppen zugeteilt (Draganski et al., 2004). Alle Versuchspersonen hatten keinerlei Erfahrung mit irgendwelchen Jongliertätigkeiten. Eine Gruppe war allerdings angehalten, innerhalb von drei Monaten eine Jonglieraufgabe mit drei Bällen zu lernen. Die anderen Versuchspersonen waren in kein Training eingebunden. Diese oder ähnliche Jonglieraufgaben sind sicherlich vielen Lesern bekannt. Hierbei geht es darum, drei Bälle zu jonglieren. Man muss die drei Bälle quasi ständig in Bewegung halten, was sehrviel Konzentration und sensomotorisches Geschick erfordert. Oft werden solche recht einfachen Jongliertätigkeiten im Zusammenhang mit Motivationstraininings oder ähnlichen Veranstaltungen genutzt. Vor dem Training wurden von allen 24 Versuchspersonen Hirnbilder angefertigt. Nach drei Monaten erfolgte die zweite anatomische Messung, zu einem Zeitpunkt, an dem die Versuchspersonen, die Jonglieraufgabe schon recht gut beherrschten. Nach dieser zweiten Messung beendete die Trainingsgruppe ihr Jongliertraining. Nach weiteren drei Monaten hatten sich die Versuchspersonen, die zuvor ein Jongliertraining erhalten hatten, deutlich verschlechtert, teilweise konnten sie überhaupt nicht mehr jonglieren. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte eine dritte anatomische Messung. Für jede Versuchsperson lagen nun drei anatomische Aufnahmen vor. Die Auswertung der anatomischen Aufnahmen förderte ein sensationelles Ergebnis zutage. Zunächst muss festgehalten werden, dass zwischen den Gehirnen der Kontrollpersonen und der Personen, die lernten zu jonglieren, vor dem Training kein Unterschied bestanden hatte. Nach drei Monaten Training offenbarte sich allerdings ein markanter Unterschied in drei Hirngebieten. In diesen drei Hirngebieten nahm die Dichte der grauen Substanz im Zuge des Jongliertrainings zu. Nach drei weiteren Monaten ohne Training reduzierte sich die Dichte wieder deutlich (s. Abb. 64 ). Im Grunde ist dieser Befund atemberaubend. Die Autoren berichten hier eine vorübergehende Veränderung anatomischer Merkmale innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten. Die betroffenenHirngebiete sind im übrigen Areale, die typischerweise an der Kontrolle des Jonglierens beteiligt sind. Es sind dies in beiden Hemisphären das Areal MT und ein Gebiet im Sulcus intraparietalis (im Englischen heißt dies Region
intraparietal sulcus
; in der Literatur wird dafür die Abkürzung IPS verwendet). Das Areal MT ist spezialisiert auf die visuelle Analyse von sich bewegenden Objekten, während der Sulcus intraparietalis visuelle Informationen mit den motorischen Kommandos zusammenbringt. Immer wenn wir also unsere Handbewegungen anhand von visuellen Reizen steuern, wird dieses Hirngebiet aktiv. Für mich als Neuropsychologen, der es gewohnt ist, mit dem menschlichen Gehirn zu arbeiten, sind Befunde wie diese immer noch spannend. Ich muss gestehen, dass sich bei mir immer noch die Nackenhaare aufstellen. Dieser Versuch hat gezeigt, dass sich im Zusammenhang mit einem sensomotorischen Training über einen Zeitraum von drei Monaten ganz bestimmte Hirngebiete anatomisch verändern. Das bedeutet, die Hardware unseres Gehirns verändert sich unter ganz bestimmten Trainingseinflüssen. Diese Veränderungen sind reversibel, sie verschwinden wieder, wenn das Training reduziert wird. Wenn dies ein Grundprinzip der Funktionsweise unseres Gehirns ist (wovon ich ausgehe), müsste sich quasi bei allen Lernprozessen das Gehirn mehr oder weniger ständig verändern und anpassen, z.B. wenn wir Vokabeln lernen, uns auf Prüfungen vorbereiten und leider auch, wenn wir nichts tun 61 . Gibt es eigentlich

Weitere Kostenlose Bücher