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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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Merkmale identifiziert werden, welche für die Interpretation des Musikstückes von Relevanz sind. Zum Beispiel muss entschieden werden, an welchen Stellen des Stückes besondere Betonungen oder Geschwindigkeitsvariationen einzubauen sind.
    â–     Aus diesen Analysen leitet sich praktisch das Training ab, denn das Training konzentriert sich bei den meisten Profimusikern auf die wichtigsten Strukturelemente der Musik. Daraus ergibt sich auch, welche Elemente am häufigsten trainiert werden.
    Diese vier Schritte führen zu einem bedeutungsvollen Enkodieren (Verknüpfen) neuer Musikinformationen. Die neuen Informationen werden beim Musiker in ein bereits bestehendes, durch das Training anderer Musikstücke, aufgebautes Netzwerk eingebaut. Als Ergebnis dieses Lernprozesses existiert eine Abrufstruktur für das neu gelernte Musikstück, die den Abruf des gelernten Musikstückes erheblich vereinfacht. Um dieses Netzwerk ein wenig besser zu verstehen, schauen wir uns jetzt an, wie solche Abrufstrukturen aussehen können.
    Ein wichtiger Teil von Abrufstrukturen sind Hinweisreize, über die der Musiker Zugang zu den einzelnen Informationen erhält. In Abbildung 18 ist eine hypothetische Abrufstruktur mit verschiedenen Hinweisreizen dargestellt. Aus dieser Abrufstruktur ist ersichtlich, dass gerade motorische Informationen, also Informationen wie bestimmte Fingerbewegungen durchzuführen sind, hierarchisch organisiert sind und als Hinweisreize fungieren können. Man erkennt hier eine Presto-Passage (also schnelle Bewegungen) die aus verschiedenen Untergruppen von Teilbewegungen aufgebaut sind (A bis I). Eine Gruppe von Teilbewegungen (C) ist ihrerseits aus Unterbewegungen aufgebaut (Ca1 bis Cb1). Mit der Gruppe der Unterbewegung Ca1 werden vier Takte erzeugt (1 bis 4). Takt 1 soll allerdings eine leichte, aber mysteriöse Grundhaltung widerspiegeln, während Takt 4 Überraschung ausdrücken soll. Takt 1 soll demzufolge
piano
und Takt 4 mit der linken Hand
subito forte
gespielt werden. Washier zum Ausdruck kommt, ist die Kopplung der Struktur dieses Musikstückes mit ganz bestimmten Handlungen, Intentionen und Emotionen. Durch intensives Üben werden all diese Informationen Bestandteil der Abrufstruktur. Das bedeutet, dass bei Musikern vielfältige motorische, emotionale und auditorische Informationen der Abrufstruktur beigefügt werden. Für die Tatsache, dass Musiker beim Musikhören automatisch motorische Module aktivieren, ohne dass sie Bewegungen auszuführen haben, liefert eine Reihe von neueren bildgebenden Untersuchungen eindrückliche Belege (Bangert et al., 2006; Baumann et al., 2007; Lotze, Scheler, Tan, Braun und Birbaumer, 2003; Kristeva, Chakarov, Schulte-Mönting und Spreer, 2003; Kleber, Birbaumer, Veit, Trevorrow und Lotze, 2007; D’Ausilio, Altenmüller, Olivetti Belardinelli und Lotze, 2006). In diesem Zusammenhang besonders interessant ist die Arbeit von Marc Bangert und Eckart Altenmüller. Sie konnten belegen, dass neurophysiologische «Kopplungen» zwischen Hör- und Motorikmoduleninfolge intensiven Lernens aufgebaut werden und demzufolge nicht von Geburt an existieren (Bangert und Altenmüller, 2003). Auch wenn der Pianist einen anderen Pianist beim Klavierspielen beobachtet, wird bei dem beobachtenden Pianisten die Abrufstruktur quasi automatisch aktiviert (Haslinger et al., 2005). Er übt «im Geiste» die Bewegungen, die auszuführen wären, wenn er selbst spielen würde.

    Abbildung 18: Hypothetische Abrufstruktur für das Spielen eines Musikstückes.
    Bei vielen Musikern können solche Abrufstrukturen noch viel komplexer werden, indem noch visuelle und taktile Eindrücke hinzugefügt werden. Beim Erwerb und Ausbau dieser Abrufstrukturen sind bestimmte Teile immer von besonderer Bedeutung. Das können bestimmte markante Phrasen oder besondere Takte sein. Diese werden von den Musikern auch häufiger geübt, was dazu führt, dass sie auch innerhalb des neuronalen Netzwerkes, in dem die Abrufstruktur gespeichert wird, im wahrsten Sinne des Wortes ein stärkeres Gewicht erhalten (Williamon und Egner, 2004). Diese Phrasen, meist sind es besondere Takte oder Taktfolgen, wirken wie Leuchttürme, welche in dem unüberschaubaren Wirrwarr von Informationen und Verbindungen Orientierung und Halt bieten. Über diese Leuchttürme gelingt ein schneller und effizienter Abruf auch Jahre nach

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