Macht Musik schlau?
es hier ankommt: Beim Lernen von verbalem Material (Wörter, Zahlen) verwenden wir lautliche Informationen, indem wir uns die Wörter leise immer wieder vorsagen. Dabei «hören» wir quasi vor unserem «inneren» Ohr, was wir uns «leise» vorsagen. Ich hoffe, Sie sind sich der Tragweite dieses letzten Satzes bewusst. Was ich da nämlich so salopp formuliert habe, ist ein interessantes Funktionsprinzip des menschlichen Gehirns. Wir können uns «selbst» etwas «vorsagen», ohne zu «sprechen». Das bedeutet, dass die mental «gesprochenen» Informationen nicht zum Bewegen der Sprechwerkzeuge führen und auch keine Schallwellen entstehen, die auf unser Ohr treffen. Alles passiert innerhalb unseres Gehirns. Wir stellen uns vor, dass wir die Zahlen aussprechen, und demzufolge stellen wir uns auch vor, sie zu hören. Dieses innere Sprechen benötigt recht gute auditorische Fertigkeiten und auch die Möglichkeit, sich gegen von auÃen eindringende Störenfriede wirksam zu wehren. Je besser unser Hörsystem Ãhnliches von Unähnlichem unterscheiden kann, desto geringerwird die Anzahl möglicher Störreize während des Lernens von verbalem Material. Je besser das Hörsystem geschult ist, desto mehr Informationen kann es auch gleichzeitig verarbeiten und demzufolge lernen.
Wie kann man allerdings erklären, dass in der Untersuchung von Lewycky und Kollegen auch das visuelle Gedächtnis bei Musikern offenbar besser funktionierte? Im theoretischen und praktischen Musikunterricht lernt der Musikschüler die Musiknotation, d.h. er lernt, Noten zu lesen und zu schreiben. Noten müssen auf den Notenblättern eingetragen werden, wobei die räumlichen Positionen der einzelnen Noten und ihre Zusammenhänge untereinander von entscheidender Bedeutung sind. Ãberdies muss eine Reihe von kleinen Kreisen, horizontalen und vertikalen Strichen oder Punkten, aber auch komplexere Formen (z.B. Notenschlüssel) gelernt werden. Das bedeutet, hier werden visuell-räumliche Details gelernt. Dass das Lesen einer komplexen Partitur besonderer kognitiver Fähigkeiten bedarf, wird einem klar, wenn man sich als Nichtmusiker einmal den Wirrwarr von Zeichen und Strichen anschaut. Um das zu verstehen, muss man schon sehr gute visuelle Unterscheidungs- und Behaltensleistungen haben.
Aber warum hatten die musikerfahrenen Chinesinnen in den Arbeiten der
Hong Kong University
keine besseren visuellen Gedächtnisleistungen? Wenn ein kanadischer Musikschüler Noten lernt, lernt er Ideogramme. Ein Ideogramm ist ein Zeichen, dessen Bedeutung nicht aus der Form des Zeichens erschlossen werden kann. Das ist bei Piktogrammen ganz anders. Da erkennt man aus dem Zeichen auch schon die Bedeutung. Die schematische Darstellung einer Frau auf einer Türe ist ein Piktogramm und bezeichnet die Damentoilette. Auch die klassische Kennzeichnung eines Fluchtweges mittels eines laufenden Männchens ist ein Piktogramm. Bei Ideogrammen ist das ganz anders. Die Bedeutung der Zeichen muss gelernt, genauer: assoziiert werden. Für unsere Sprache und das musikalische Notationssystem ist das typisch. Hier werden konventionelle Symbole mit Bedeutungen durch assoziatives Lernen gekoppelt. Das bedeutet, dass bei europäischen Sprachen das Lernen von Musik- und Sprachzeichen über das Lernen von Ideogrammen abläuft. Also prinzipiell ähnliche Prozesse. Anders ist dies in der chinesischen Sprache. Ein Teil der chinesischen Schriftzeichen sind Piktogramme, wo die Bedeutung des Zeichens aus dem Zeichen selbst erschlossen wird. Wahrscheinlich sind die Chinesen, verglichen mit Europäern, dafür beim visuellen Gedächtnis nicht so gut, weil sie weniger ideographisch lernen, also keine Ideogramme bilden müssen. In den chinesischen Studienwurden visuelle Reize genutzt, in denen vorwiegend Piktogramme zur Anwendung kamen. Insofern können chinesische Musiker dann auch keinen Vorteil zeigen, denn beim Lernen der Musiknotation werden Ideogramme gelernt. Interessant wären Versuche, in denen auch nichtsprachliche Ideogramme bei Chinesen zur Anwendung kämen.
Im Ãbrigen darf man auch einen weiteren Aspekt nicht auÃer Acht lassen. Stellen Sie sich einmal zwei gleich begabte Kinder vor. Beide sind mehr oder weniger gleich gut in der Schule, kommen aus vergleichbaren Elternhäusern und sind womöglich noch in der gleichen Klasse. Sie pflegen die gleichen Hobbys, gehen z.B.
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