Macht Musik schlau?
für Klänge, Motive und Phrasen auffassen. Da Klänge, Motive und Phrasen nicht wie verbales Material direkt mit semantischen Inhalten (also Inhalten, die eine Bedeutungsinterpretation erfahren haben) in Beziehung gebracht werden, geht man davon aus, dass das Musikgedächtnis eher perzeptuell (also ohne semantische Bedeutung und nur auf die Klangmustern basierend) aufgebaut ist. Bei der Sprache ist das anders, da wird bereits das Wort direkt mit einem übergeordneten semantischen Begriff assoziiert. Obwohl Musik nicht direkt mit semantischen Informationen gekoppelt ist, können Musikreize über spezifische Lernprozesse durchaus mit Emotionen und semantischen Inhalten gekoppelt werden. Trotz dieser Möglichkeit, Assoziationen aufzubauen, sind Musikinformationen eher abstrakt in einem speziellen Musikgedächtnis gespeichert. Anhand von Läsionsstudien 18 wissen wir, dass Musikinformationen bilateral im Hörkortex verarbeitet werden. Weitere Strukturen sind Bereiche im unteren Teil des Scheitellappens (Gyrus supramarginalis) und im unteren Teil des Stirnhirns (Gyrus frontalis inferior).
Diese elementare Beschreibung des Musikgedächtnisses hilft uns allerdings nicht, das auÃergewöhnliche Musikgedächtnis von Musikern zu verstehen. Die oben dargestellten Gruppierungsmechanismen funktionierennämlich mehr oder weniger bei Musikern und Nichtmusikern in gleicher Art und Weise. Bei Musikern muss noch etwas Besonders im Hinblick auf das Musikgedächtnis vorliegen. Zur Erinnerung: Stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten eine ganze Sonate oder gar eine ganze Sinfonie (natürlich nur mit Ihrem Instrument) aus dem Gedächtnis vorspielen. Ihr Spiel sollte nicht nur durch die möglichst exakte Reproduktion der Noten geleitet sein, sondern auch Tempowechsel und emotionale Betonungen sollten möglichst korrekt wiedergegeben werden. Gelegentlich werden Sie einen Fehler machen, zum Beispiel weil Sie eine Taste nicht treffen. Vielleicht halten Sie kurz inne und beginnen nach dem falschen Ton wieder zu spielen. Es mag auch sein, dass Sie ein oder zwei Takte einfach vergessen haben. Sie fügen einfach zwei ähnlich klingende Takte ein und vollenden dann das Stück in der korrekten Art und Weise. Je besser Sie das Stück beherrschen, desto weniger Zuhörer werden Ihre Fehler bemerken und umso besser wird es Ihnen gelingen, elegant mit unterschiedlichen Fehlern zurechtzukommen. Manche Musiker berichten von einem
Flow
-Erlebnis während des Spiels, wobei sie den Eindruck haben, dass die Musik quasi aus ihnen hinausflieÃt und die Motorik mehr oder weniger automatisch abläuft.
Die Grundlage für diese enormen Spielleistungen von Musikern ist ein Expertengedächtnis. Man nennt dieses Gedächtnis auch Expertisegedächtnis, um zum Ausdruck zu bringen, dass dieses Gedächtnis mit spezifischen Informationen «gefüttert» wird, für die die Musiker eine Expertise entwickelt haben. Prinzipiell ist diese Art des Gedächtnisses auch bei Schachspielern, Kellnern (nur den guten, die übrigens immer seltener anzutreffen sind) und Wissenschaftlern festzustellen. Das Grundprinzip dieses Gedächtnisses besteht darin, dass viele Informationen und Handlungen eng miteinander verknüpft sind. Diese Verknüpfung muss man sich nicht wie eine «Alles-mit-allem-Vernetzung» vorstellen, sondern die Verknüpfung erfolgt mit System und weist eine regelmäÃige Struktur auf. Einige Informationen sind in dieser Verknüpfungsstruktur wichtiger als andere. Aber allen Informationen ist gemein, dass sie eng miteinander verknüpft und im Gehirn deshalb auch fest verankert sind. Dieses Netzwerk bzw. diese Wissensstruktur wird in der Fachsprache der kognitiven Psychologie als Abrufstruktur (engl.:
retrieval structure
) bezeichnet. Diese Abrufstruktur muss gelernt werden und basiert teilweise auf individuellen Interpretationen des Musikers. Folgende Lernschritte durchläuft ein Musiker typischerweise beim Lernen eines Musikstückes:
â    Zunächst muss die formale Struktur des jeweiligen Musikstückes erschlossen werden. Dies bedeutet, dass Anfang und Ende wichtiger Teile, Motive und Phrasen erkannt werden müssen.
â    Wichtige Handlungsmuster müssen identifiziert werden. Hierzu gehören die Art der Fingerbewegungen, die notwendig sind, um bestimmte Phrasen oder Motive zu spielen.
â    Hierbei müssen auch
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