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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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hinsichtlich der drei psychischen Funktionsbereiche nicht deutlich voneinander unterschieden. Der wesentliche Unterschied dieser beiden Versuchsgruppen besteht ja darin, dass eine Gruppe komponieren und improvisieren konnte und die andere nicht. Offenbar hat die Fähigkeit, zu komponieren und zu improvisieren, keinen zusätzlichen fördernden Effekt auf die räumlichen Analysefunktionen.
    Interessant ist eine weitere Publikation der gleichen Arbeitsgruppe, die sich auf die gleichen Kinder bezieht (Hassler und Birbaumer, 1986). Die Kinder mussten entweder mit der rechten oder linken Hand aus Holz gefertigte Objekte betasten, indem sie ihre Hände in einen Kasten hineinführten. Dadurch war es ihnen nicht möglich, die Objekte zu sehen, sondern sie konnten diese nur ertasten. Nachdem jedes Objekt während zehn Sekunden betastet worden war, sollten die Kinder anhand von vorgelegten Bildern angeben, welches Objekt sie glaubten, ertastet zu haben. Hierbei waren die Kinder mit Musikausbildung deutlich besser als die Kinder ohne Musikausbildung. Besonders interessant ist dabei der Befund, dass Kinder mit Musikausbildung die Objekte besser mit der linken Hand ertastet haben. Da die taktilen Informationen der linken Hand in die rechte Hirnhemisphäre geleitet und dort im Scheitellappen verarbeitet werden, scheinen die musikerfahrenen Kinder die taktilen Informationen über die Form der Objekte besser im rechtsseitigen Scheitellappen zu verarbeiten. Kinder ohne Musikausbildung zeigen diese Asymmetrie nicht (vgl. Abb. 19 ). Eine mögliche Interpretation dieses Befundes ist, dass das Musiktraining den rechtsseitigen Parietallappen quasi «geformt» und die dort lokalisierten räumlichen Analysefunktionen verbessert hat, so dass sie auch für andere nicht musikbezogene Inhaltsbereiche (hier Objekterkennung) herangezogen werden können. Allerdings wurde damals eher die Variante favorisiert, wonach Musiker quasi von Geburt an eine gewisse «Rechtslastigkeit» im Hinblick auf verschiedene Verarbeitungsstrategien aufweisen.
    Allerdings konnte in Folgeuntersuchungen an erwachsenen Musikern eine Überlegenheit räumlicher Analysefunktionen bei Musikernnicht zwingend bestätigt werden. In einer späteren Arbeit hat Marianne Hassler eine große Stichprobe von erwachsenen Versuchspersonen neuropsychologisch untersucht (Hassler, 1990). Die Stichprobe bestand aus Komponisten, Instrumentalmusikern, Nichtmusikern mit guter Ausbildung, Kunstmalern und Nichtmusikern mit niedriger Ausbildung. Sie konnte leichte Vorteile im Hinblick auf einige räumliche Fertigkeiten bei Musikern entdecken (s. Abb. 20 ). Die Effekte sind aber recht klein und praktisch eigentlich nicht bedeutsam. Theoretisch sind sie gleichwohl interessant, denn sie scheinen eine gewisse Stärke der Musiker in räumlichen Funktionen anzudeuten.

    Abbildung 19: Leistungen im dihaptischen Test nach Witelson. Dargestellt sind die taktilen Erkennensleistungen der rechten (RH) und linken Hand (LH) für Kinder mit Musiktraining, die auch improvisieren und komponieren können (G1), für Kinder mit Musiktraining ohne Kenntnisse des Komponierens und Improvisierens (G2) und für Kinder ohne Musikkenntnisse (G3). Die Grafik wurde anhand der Datentabelle aus Hassler und Birbaumer (1986) erstellt.
    In der Folgezeit sind sehr viele Untersuchungen wie die von Marianne Hassler durchgeführt worden. Lois Hetland hat diese Arbeiten in einer eindrucksvollen Fleißarbeit näher analysiert und eine Metaanalysepubliziert. Insgesamt kommt sie zu der Schlussfolgerung, dass es einen stabilen (wenn auch moderaten) günstigen Einfluss musikalischer Betätigung auf räumlich-visuelle Fähigkeiten gibt (Hetland, 2000). Allerdings besteht ein grundsätzliches methodisches Problem darin, dass die unterschiedlichen Untersuchungen räumlich-visuelle Funktionen teilweise sehr unterschiedlich definiert haben. Wir wissen jedoch, dass es unterschiedliche Teilaspekte räumlich-visueller Fähigkeiten gibt. Wir unterscheiden zum Beispiel das
mentale Rotieren
vom
visuell-räumlichen Konstruieren
. Auch das räumliche Orientieren auf Karten oder in vorgestellten Landschaften ist eine völlig unterschiedliche Funktion, die zwar unter dem Begriff räumlich-visuelle Funktionen eingeordnet, aber durch unterschiedliche Funktionsmodule kontrolliert wird. Insofern muss ein geringer Effekt in der Metaanalyse nicht zwangsläufig darauf

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