Macht Musik schlau?
dem Lernen. Die wichtigen markanten Informationen sind in den Abrufstrukturen des Gedächtnisses fest und dominierend verankert. Um sie herum scharen sich die anderen Informationen. Meist gelingt einem der Zugang zu den untergeordneten Informationen über diese markanten Orientierungspunkte.
Durch den Aufbau einer feinmaschigen aber stabilen Abrufstruktur werden die Informationen nicht nur sicher gespeichert, sondern der Musiker erhält dadurch die Möglichkeit, viele gesicherte Zugänge zu den gespeicherten Informationen zu finden. Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Die einzelnen Verbindungen zwischen den motorischen Aktionen, Emotionen, Motiven, Phrasen, visuellen und taktilen Eindrücken kann man als StraÃen oder Wege auffassen, welche die jeweiligen Ortschaften (Gedächtnisinformationen) miteinander verbinden. Je besser dieses Netzwerk durch Training aufgebaut ist, desto besser sind die StraÃen und Wege. Sie funktionieren nicht nur unter optimalen Bedingungen, sondern auch dann, wenn es schwierig wird, sich zu orientieren. Um in unserem Beispiel zu bleiben, würde das bedeuteten, dass man den Wegen und StraÃen auch nachts oder bei schlechten Witterungsbedingungen sicher folgen kann und schnell zu seinem Ziel geführt wird. Vielleicht kann der Leser sich jetzt plastisch vorstellen, warum Musiker Noten und Notenfolgen, egal ob sie visuell oder auditorisch dargebotenwerden, immer schneller wiedererkennen und memorieren. Sie lernen neue Musikstücke deswegen auch viel schneller als Nichtmusiker. Selbst innerhalb der Musikerzunft können die Lernunterschiede mittels solcher Abrufstrukturen erklärt werden. Schnell lernende Musiker verfügen über ausgeklügelte und schon gut funktionierende Abrufstrukturen, die sie für das Erlernen neuer Musikstücke verwenden können.
Exkurs: Kim Peek (der Rain Man)
Vielleicht ist Kim Peek ein interessantes Beispiel dafür, wie effiziente Abrufstrukturen zu hervorragenden Gedächtnisleistungen im Hinblick auf Musikinformationen führen können. Kim Peek ist ein mittlerweile berühmter Savant 19 , dessen Lebensgeschichte als Vorlage für den mit vier Oscars ausgezeichneten Film «Rain Man» mit Tom Cruise und Dustin Hoffman diente. Kim Peek ist dadurch berühmt geworden, dass er praktisch jeden Tag ein Buch liest und den Inhalt auswendig lernt. Im Zusammenhang mit diesem Buch ist allerdings seine Zuwendung zur Musik von besonderem Interesse. Seit einigen Jahren interessiert er sich für Musikgeschichte, was er durch intensives Lesen entsprechender Bücher pflegt (ein Buch pro Tag). Mittlerweile erhält er auch Klavierunterricht, und man berichtet, dass er innerhalb kurzer Zeit (ca. in einem Jahr) gelernt hat, dieses Instrument zu spielen. Besonders auffallend ist Kim Peeks bemerkenswertes Gedächtnis für Töne und Klänge. Er kann zu jeder Komposition die entsprechende Tonlage angeben. Nicht nur das, er kann sogar die Partituren inklusive der jeweiligen Einsätze und Beteiligungen der verschiedenen Instrumente angeben. Durch seine enormen Kenntnisse der Musikgeschichte kann er die Musik den jeweiligen Komponisten und damit den Musikrichtungen zuordnen. Rhythmus und Tempo der jeweiligen Stücke kann er durch Wippen mit den FüÃen oder rhythmisches Klopfen nachvollziehen und sich merken. Seine Musiklehrerin ist durchaus verblüfft, wie Peek die neu gelernte Fähigkeit, Klavier zu spielen, mit seinem enormen Musikwissen verknüpft. Sie kann sich sogar vorstellen, dass er bald beginnen könnte, selbst zu komponieren.Peek hat offenbar mit der Zeit eine Abrufstruktur für Musik aufgebaut, welche zu Beginn eher theoretischer Natur war. Das bedeutet, er hatte in diesem Gedächtnisnetzwerk lediglich theoretische Aspekte gespeichert. Durch den Klavierunterricht beginnt er nun, diese Informationen mit motorischen Kommandos und selbst produziertem Rhythmus in Verbindung zu bringen. Das bedeutet, dass seine Abrufstruktur jetzt durch den Klavierunterricht ausgebaut und weiter gefestigt wird.
4.3
Visuell-räumliche Leistungen
In den 1970er-Jahren erlebte die experimentelle Neuropsychologie eine wahre Blütezeit. Die Ãra war auch durch die bahnbrechenden Arbeiten von Roger Sperry motiviert, der als erster Neuropsychologe den Nobelpreis für Medizin und Physiologie erhielt. In dieser Zeit war man insbesondere an funktionellen Hemisphärenasymmetrien interessiert. Das heiÃt
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