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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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die zweite Figur eine «gedrehte» Variante des Standardreizes ist, oder durch Drehung nicht in den Standardreiz zu überführen ist. Dies kann mitunter recht kompliziert und schwierig sein. Die Schwierigkeit der Aufgabe nimmt mit dem Grad der Drehung zu. Das kann man sehr schön an den Reaktionszeiten erkennen. Je stärker die Drehung, desto länger sind die Reaktionszeiten. Man erklärt sich dies damit, dass das mentale Rotieren mehr Zeit benötigt. Je stärker die Drehung des Vergleichsreizes ist, desto länger brauchen die Versuchspersonen, um den Vergleichsreiz mental in die Position des Standardreizeszu bringen. In gewisser Weise ist dies ein spektakulärer Befund, denn mit diesem eleganten Experiment ist man in der Lage, mentale Vorgänge zu messen. Das heißt wir können Rückschlüsse über intern ablaufende Vorgänge ziehen, obwohl wir während des Ablaufs dieser Vorgänge eigentlichnichts sehen. Warum erzähle ich Ihnen dies alles? Ganz einfach, es hat sich nämlich gezeigt, dass professionelle Musiker diese Aufgabe offenbar besser bzw. anders lösen als Nichtmusiker.

    Abbildung 23: Hirngebiete, die beim Notenlesen mit und ohne motorische Tätigkeiten aktiviert werden. Im Wesentlichen ist der Scheitellappen und hier ein Gebiet zwischen dem oberen und unteren Teil des Scheitellappens aktiv. Mit zunehmendem Beherrschen der Noten wird die Aktivierung im unteren Scheitellappen ein wenig dominanter (graue Ellipsen).

    Abbildung 24: Typische Figuren, die beim mentalen Rotieren genutzt werden. In der obersten Reihe erkennt man die «klassischen» Shepard-Metzler-Figuren. Reihen 2, 3 und 4 zeigen gedrehte Objekte. Die letzte Reihe zeigt gedrehte zweidimensionale Figuren. Hier sind nichtsprachliche Figuren dargestellt.
    Dies konnte kürzlich Vanessa Sluming von der Universität Liverpool gemeinsam mit ihren Kollegen zeigen (Sluming, Brooks, Howard, Downes und Roberts, 2007). Sie ließ zehn Profimusiker des
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
mentale Rotationsaufgaben lösen, während sie gleichzeitig mittels der funktionellen Magnetresonanztomographie die Durchblutung des Hirns gemessen hat. Die erzielten Befunde verglich sie dann mit Kontrollpersonen, die hinsichtlich des Alters, des Geschlechts und der Intelligenz parallelisiert 21 waren. Es zeigte sich, dass die Musiker die mentalen Rotationsaufgaben viel schneller lösten als die Nichtmusiker. Insbesondere die schweren mentalen Rotationsaufgaben lösten die Musiker bemerkenswert schnell. Typischerweise werden die Reaktionszeiten für das mentale Rotieren in Abhängigkeit der Drehung der zu rotierenden Objekte in einem Diagramm angeordnet. Dann kann man feststellen, dass bei normalen erwachsenen Personen pro Winkelgrad der durchzuführenden Drehung die Reaktionszeit ca. 15 bis 20 Millisekunden länger wird. Bei Musikern ist diese Reaktionszeit erheblich geringer und beträgt ca. 1 bis 2 Millisekunden. Solche Reaktionszeiten sind bei normalen Versuchspersonen nur nach erheblichem Trainingsaufwand zu erreichen. 22 In diesem Sinne könnte man feststellen, dass Musiker so schnell und effizient mental rotieren, wie Personen, die diese Aufgabe intensiv trainiert haben. Die Reaktionszeit für das Lösen der mentalen Rotationsaufgaben korrelierte im Übrigen auch mit der Dauer an Jahren, welche die Musiker schon als Orchestermusiker gearbeitet haben. Je länger die Reaktionszeiten, desto später haben sie begonnen, als Orchestermusiker zu arbeiten. Haben die Musiker durch das extremlange und intensive Musizieren quasi unbewusst auch das mentale Rotieren trainiert?
    Die zusätzlich gemessenen Hirndurchblutungsveränderungen während des mentalen Rotierens offenbarten einen weiteren erstaunlichen Befund. Neben dem typischen Aktivierungsmuster, das beim mentalen Rotieren in allen Studien festgestellt wurde (ausgedehnte Durchblutungen im Scheitellappen und im oberen Teil des Stirnhirns), zeigte sich, dass bei Musikern zusätzlich auch das Broca-Areal während des Lösens der mentalen Rotationsaufgaben besonders stark durchblutet war (s. Abb. 25 ). Das Broca-Areal ist ein wichtiges Hirngebiet im unteren Teil des Stirnhirns. Dieses Hirngebiet ist intensiv in die Kontrolle von verschiedenen übergeordneten kognitiven Funktionen eingebunden. Diese sind:
    â–     Kontrolle von sprachlichen Prozessen (Sprechproduktion, Grammatik, Betonungsmuster,

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