Macht: Thriller (German Edition)
mich nicht so an. Ich hab’s nachgelesen. – Du hast selbst gesagt, Gernot, bei Crowley stellt die Lust die höchste Form der Erleuchtung dar.« Sie wechselte von einem Fuß auf den anderen, hob den Arm und deutete mit dem Zeigefinger nach oben. »Wir haben Helios, den Sonnengott, auf dem Dach! Vis-à-vis auf der Kuppel steht Pallas Athene. Wenn ich ganz ehrlich bin, ich brauch mich hier nur umzugucken, schon sehe ich überall Hinweise auf diese Typen!« Sie ruderte mit den Armen und zeigte willkürlich mit den Händen herum. »Die komischen Jakobsmuscheln an allen Ecken und Enden dieses Saales mit dem Zahlenwert Fünf. – Ich will sie gar nicht zählen, bestimmt sind es dreiundzwanzig. – Eine fünfeckige Staatskanzlei hier, eine putzige Pyramide dort … Herrgott, Gernot, die Kerle sind scheinbar überall.«
»Du glaubst ernsthaft, wir haben es mit Hinweisen auf die Illuminaten zu tun?« Gernot zog die Mundwinkel nach unten und nickte anerkennend. »Wow! Das ist jetzt so richtig Udo.«
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I an Thorpe steckte die Hände in die Hosentaschen, betrachtete seine Schuhspitzen und schmunzelte. Die kleine Lady hatte er unterschätzt. Mahler folgte der Fährte. Sie hatte ihn und den Mann ohne Nerven vor das Kaiserbild gelockt. Er war gespannt, ob sie die Charmeoffensive startete oder die Krallen ausfuhr. Wenn sie spielen wollte, bitte. Er kabbelte gerne mit geschmeidigen Katzen. Miau!
Udo lockerte den Kragen des Aztekenhemdes. Er schielte die Prunkstiege nach unten und berechnete seine Chancen, beim Ausgang anzukommen, bevor ihn Wotruba oder Gernot am Schlafittchen packen konnte. Er startete los und wollte zwei Stufen auf einmal nehmen. Ein Schmerz am Oberarm hielt ihn zurück, dem Zubeißen eines Schraubstockes nicht unähnlich. Kernreiter ächzte und kreiselte auf den Fersen in die Ausgangsposition zurück.
»Rüttle nicht am Watschenbaum, die Frucht ist reif, du glaubst es kaum«, knurrte Wotruba, ließ Kernreiter wieder los und wischte sich die Hand in das Hosenbein.
»Das ist Polizeigewalt!«, quäkte Udo und rieb sich den Arm.
Wotruba kniff die Augen zusammen und sagte: »Willst du deinem Zahnarzt wirklich ein neues Cabrio bezahlen? Glaub mir, der hat schon eins.«
Kernreiter schluckte und schüttelte den Kopf.
Gernot legte den Kopf in den Nacken und inspizierte das Deckengemälde von Hans Canon. Er hatte keine Lust auf noch mehr Fremdschämen. Die Sphinx mit dem Nemes -Kopftuch, dem gestreiften Königstuch der Pharaonen, unter dem Mondhimmel und der Kreis aus Menschenleibern faszinierten ihn. Das geflügelte Wesen, zur Hälfte Frau und halb Löwin, erinnerte ihn an das Bild der Tarotkarte bei Mitterlechner. Die Sphinx saß dergestalt auch auf dem Rad des Schicksals. Sie hatte auf der Karte jedoch ein Zepter in der Pranke, nicht das Buch mit den sieben Siegeln. Er tippte Josi auf die Schulter und deutete nach oben.
Josephine sah hoch und verstand den Wink sofort. Auch der letzte Hinweis des Mörders führte sie in das Haus am Ring. »Dort oben haben wir die Hüterin der Geheimnisse, die Sphinx unter dem Sichelmond. Die Illuminaten haben sich ausschließlich in Mondnächten in den Logenräumen versammelt. Meint ihr immer noch, ich höre das Gras wachsen?«
»Josephine, was Sie uns da über Zahlenmystik und Symbole erzählt haben, das ist doch alles Interpretation.« Thorpe schabte, ohne aufzusehen, mit der Sohle über die Stufenkante. »Wie oft möchte man Zusammenhänge erkennen, wo gar keine bestehen. Nur um Recht zu behalten, oder um dem zutiefst menschlichen Bedürfnis nach Kausalität nachzugeben. Guys , ihr kennt das doch alle, man hört etwas über ein bestimmtes Auto. Schon sieht man das Modell überall. Oder man liest über etwas, und plötzlich hört man Radioberichte und Gespräche über genau dieses Thema. Man fühlt sich dann wie in der Truman Show. Wie in diesem Film über den Mann, der plötzlich begreift, dass sein ganzes Leben Kulisse und eine inszenierte Reality-Soap im Fernsehen ist.« Thorpe warf Rauchbomben und suchte derweil nach dem Notausgang. Endlich erhellten sich seine Züge, und er hob den Kopf. »Die Illuminaten sind 1784 verboten worden, das heißt acht Jahre nach ihrer Gründung in Ingolstadt. 1787 stellte ein Edikt das Werben für den Orden unter Todesstrafe. Dieses Gebäude, das Naturhistorische Museum, ist zwischen 1871 und 1881 errichtet worden. Eröffnet wurde es 1889. With all due respect , da liegt ein ganzes Jahrhundert dazwischen. Sorry, Josephine, ihre Theorie
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