Macht: Thriller (German Edition)
zwischen den Rippen. Kernreiter japste und lugte nach Szombathy und Wotruba. Die zwei standen draußen vor der Tür und rauchten. Josephine und ihr Aufpasser in Uniformblau waren nirgendwo zu sehen.
» Keep still and obey, Mr. Grey !«, zischte Thorpe dicht an Udos Ohr und bugsierte ihn durch das Museumsfoyer. » Let us take a little stroll. «
»Bitte? – Ich verstehe nicht. – Was meinen Sie, Ian?« Udo stöhnte auf, die Pistole stieß ihn härter.
» A walk ! – Einen Spaziergang.« Der »Mann ohne Nerven« strapazierte Ians Geduld.
Thorpe führte Udo aus dem Ausstellungsbereich. Er öffnete für Besucher verbotene Türen und rempelte Kernreiter durch schmale Gänge und Zimmerfluchten im Zwielicht, vorbei an deckenhohen Holzregalen voller Archivschachteln. Ian stand still und spitzte die Ohren. Stimmen wurden laut. Er drückte Udo die Waffe unter den Rippenbogen und grüßte die entgegenkommenden Mitarbeiter. Die Männer und Frauen reagierten mit einem irritierten Gesichtsausdruck. Aber wer bis hierher vorgedrungen war, musste dazu berechtigt sein.
Thorpe stieß Kernreiter durch die Aufzugstür. Er steckte den Schlüssel ins Schloss und drückte einen der unteren Stockwerksknöpfe.
Udo stolperte mit dem Gesicht gegen die Kabinenrückwand und rutschte auf die Knie. Er stöhnte und befühlte sein Nasenbein. Der Lift setzte sich in Bewegung. Es ging abwärts in den Untergrund, in eines der vier Untergeschosse. Udo setzte sich auf den Kabinenboden. Blut tropfte warm in seine Hand. Kernreiter schniefte und schielte an der Waffe vorbei auf den Schlüsselbund. Er kniff die Augen zusammen und las die Beschriftungen an den Schlüsselanhängern. Ein Name war mit Füllfeder auf den Papierstreifen geschrieben. Momentaner Brechreiz würgte Udo. Er krümmte sich und presste die Hand vor den Mund. Er hätte seinem Aufpasser fast vor die Füße erbrochen. Der Schlüsselbund hatte der ermordeten Archivmitarbeiterin Ulrike Moosbrugger gehört.
» O yes ! Der Mann ohne Nerven«, schmunzelte Thorpe und schaute zur Decke. Die Kabine hielt, die Türen gingen auf. Ian zog die Schlüssel ab, steckte sie in die Sakkotasche und packte Kernreiter am Schopf. Er schleifte den Winselnden an den Haaren aus dem Aufzug und über den Estrich in den Tiefspeicher.
Udo kroch so schnell er konnte. Er bemühte sich, mit Thorpe Schritt zu halten. Die Finger in den Haaren ließen nicht locker, die Kopfhaut wurde taub. Kernreiter spürte Staub und Beton unter den Handflächen und kämpfte sich auf die Füße. Der Andere löste den Griff, Udo strauchelte. Er strudelte unter einer Gipsplattendecke, unter Neonleuchten, Kabelkanälen und Brandmeldern. Kernreiter fand festen Stand und erstarrte. Eine Armee aus Tieren glotzte ihn an. Hunderte, vielleicht tausende Glasaugen waren starr auf ihn geheftet. Wölfe, Bären, Antilopen, Pferde und Wildschweine standen Schulter an Schulter im Karree. Der kapitale Hirsch in der Mitte reckte den Hals und überblickte die Reihen der Präparate und Jagdtrophäen. Die Stahlregale jenseits der großen Präparate waren gefüllt mit Kleintieren. Der unterirdische Raum war gerammelt voll mit toten Tieren. Waren hier, in den Fundamenten der Wissenschaft, die Monster aus Goyas Stich versammelt, die der Schlaf der Vernunft geboren hatte? Die Museumssäle beherbergten nur Tiere in Ruheposen. Hier unten im Keller sah die Tierwelt beängstigend aus. Egal wohin Udo flüchten wollte, Raubtiere fletschten die Zähne und posierten in Drohgebärden.
» Kneel! «, befahl Thorpe und bewegte den Schlitten der Automatik vor und zurück.
Udo fuhr herum. Hatte er gerade die Aufzugtür gehört?
Thorpe verdrehte die Augen. »Hinknien!«, brüllte er und trat Kernreiter in die Kniekehle.
Udo heulte auf, sackte zusammen und fiel auf den Fußboden. »Warum?«, keuchte er und ein Speichelfaden troff ihm aus dem Mund.
» You push my buttons , Udo. Sie gehen mir auf die Nerven. Und Sie quatschen einfach zu viel!« Der Agent stampfte Kernreiter in die Seite.
Udo krächzte einen gurgelnden Schrei. Die Lungen waren leer, der Schmerz überall. Der Amerikaner lachte. Kernreiter rollte auf den Bauch. Zwischen die Tiere kriechen, das war die letzte Chance. Bald schon war er die Leiche im Keller des Museums, die eine ohne Inventarnummer. Kernreiter zog sich vorwärts, seine Hand knirschte unter Ians Ledersohlen. Die Hufe und Pfoten verschwammen im Schleier vor Udos Augen. Er riss den Mund auf. Kein Ton kam heraus.
Thorpe polierte das Oberleder
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