Macht: Thriller (German Edition)
Fellen. Er dämmerte auf der Bettstatt vor sich hin, immer einen Kameraden an der Seite. Der Tiroler bekam nichts mit von Weihnachten, vom Fieber, vom Skorbut und vom Siechen und den heftiger werdenden Wahnvorstellungen Otto Krischs. Am ersten Morgen im Februar schlug Klotz die Augen auf, stand auf und zog sich an. Er meldete sich zum Dienst, bereit, die Tageswache zu übernehmen.
»Der Heilige Olaf«, befand der Eismeister Elling Carlsen aus Norwegen. »Das mit dem Klotz ist genau wie beim Heiligen Olaf. Der Heilige Olaf ist auch verloren gegangen in Schweigen und Meditation, bis er wieder zurück gefunden hat in die Welt. Und wisst ihr, wer dem Klotz den Weg zurück gewiesen hat? – Das war der Krisch. Der Krisch, der mit dem Tode ringt, der schon mehr drüben als hüben ist. Die Seele von dem Krisch wandert durch das Schiff und über das Eis, auf der Suche nach dem Übergang ins Reich der Toten. Da hat sie die vom Klotz getroffen und ihr gesagt, der Klotz soll wieder zurückkommen in seinen Körper!« Carlsen nickte zu seiner eigenen Bestätigung.
Lusina hörte sich das mit den anderen in aller Ruhe an und ging, um Weyprecht zu holen. » Avanti! «
Der Kommandant machte ein paar Schritte um den Auferstandenen herum und bemerkte keine Veränderung an Klotz. Die Männer bestätigten ihm, der Tiroler gebärdete sich grade so wie vor dem Zusammenbruch. Weyprecht legte die Stirn in Falten und orderte die Männer auf ihre Posten. Er wollte unter vier Augen mit dem Jäger sprechen. »Wo, Klotz? Wo sind sie gewesen?«
»Dahoam!«, antwortete der Tiroler. »In St. Leonhard im Passeiertal war ich.«
»Wie ist das gekommen?«
»Ich weiß nicht.« Klotz erwiderte Weyprechts forschenden Blick. »Plötzlich hab ich sie gesehen. Vatern, Muttern. Alle. Daheim in der Stuben, wo sie meiner gedacht und mich gesucht haben. Da hab ich zu mir gesagt, ich setz mich zu ihnen. Und da war ich dann, und bin geblieben. Über Weihnachten halt.«
Weyprecht nickte und setzte sich auf das Bett des Jägers. »Wann haben Sie sie gesehen? Ihre Leute, meine ich.«
Klotz überlegte kurz. »Des woar ka Viech!« Der Tiroler wandte sich ab. Mehr wollte und wird er nicht sagen.
»Danke, Sie können wegtreten.« Weyprecht wartete, bis Klotz gegangen war. Dann legte er sein Gesicht in beide Hände und atmete schwer. Das Licht! Es ist das blaue Licht gewesen. Es hatte den Tiroler erleuchtet. Ihn illuminiert! Weyprecht hustete und massierte sich den Nacken. Der Wahnsinn ging um auf seinem Schiff. Er stand grinsend in Schellenhaube und Scheckenrock am Bug und winkte einen nach dem anderen zu sich. Und jetzt war er selbst an die Reihe gekommen. Weyprecht stand auf und schloss die Kajütentür. Er musste zurück in das Zelt auf dem Eis. Die Messgeräte und Listen harrten seiner.
36
Wien, 12. Oktober 2012
J osephine öffnete das Vorhängeschloss, durchschnitt das Siegel mit dem österreichischen Bundesadler und gab Schlüssel und Taschenmesser an den Chefinspektor zurück. Sie trat einen Schritt zur Seite. Um keinen Preis wollte sie die Erste sein, die nach den vergangenen Ereignissen das Pfarrhaus betrat.
»Na alsdann!«, sagte Wotruba, steckte die Utensilien in die Lederjacke und zog die Tür zum Gemeindehaus der Christuskirche auf. Das Provisorium ächzte. Brandgeruch und abgestandene Luft quoll durch den Spalt. Wotruba atmete durch, straffte den Rücken und schob sich hinein.
Josephine, Gernot und Udo zögerten, wechselten Blicke.
Gernot seufzte, zuckte mit den Achseln und presste sich an der Brettertür vorbei.
»Hahaha! Ladies first!« Udo machte eine einladende Handbewegung, aber Josephine schüttelte nur den Kopf. Verflixt! Udos Magensäure brodelte. Er musste jetzt wirklich einen Moment alleine sein, um endlich mit Doktor Steuben zu telefonieren.
»Bereit, wenn Sie es sind!« Josephine stellte einen Fuß vor und neigte den Kopf zur Seite.
Udo nestelte ein Taschentuch aus der Hanftasche und presste es sich vor Mund und Nase. Der Gestank von kaltem Rauch und Asche brannte in den Atemwegen. »Riecht wie bei Gernot zuhause. Hahaha!«
»Los jetzt! Rein mit dir!« Josephine schubste Udo durch den Türspalt und schob ihn weiter zur Treppe.
Udo sträubte sich, aber nach einem ermutigenden Puff stapfte er die Stiegen zu Gabriels Büro hinauf.
Josephine hielt einen Augenblick inne. Die Sessel neben dem kleinen Tischchen im Vorraum waren umgestürzt. An Tablett und Wassergläsern hafteten Ascheflöckchen. Schmauchstriemen schwärzten die
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