Macht: Thriller (German Edition)
Decke. Josephine tastete sich weiter. Sie stieß die Tür auf und wurde vom Sonnenlicht geblendet, das durch die Fenster hereinfiel. Im Gemeindesaal herrschte Chaos. Tische und Stühle lagen kreuz und quer. Sie konnte in ihrer Vorstellung die Feuerwehrstiefel hin und her laufen hören. Die Luft war feucht. Löschwasserflecken maserten die Wände. Das Haus war völlig ruiniert. Jede Spur von Gastlichkeit verloren. »Mach das weg, ich hab grad keine Hand frei«, hörte sie Wotruba, riss sich von dem Anblick der Verwüstung los und eilte in den ersten Stock.
Gernot stand am Treppenkopf und wickelte ein Tatortabsperrband auf. Er war ganz blass und eine Zigarette steckte in seinem Mundwinkel. »Keine Angst, am Fensterbrett steht mein Aschenbecher.«
»Ist doch völlig egal. – Sieh dich hier bloß um!« Josephines Schritte gefroren an der Büroschwelle. Ein Blutfleck reichte von der Wand, über den Parkettboden bis in den Teppich. Sie hielt sich am Türrahmen fest und machte einen großen Schritt über die eingetrocknete Lache hinweg. »Wonach suchen wir?«
Wotruba drehte sich um und blickte jeden seiner Begleiter auffordernd an. »Das möchte ich von den drei Musketieren wissen! Was suchen wir?«
»Pneumatologie!« Gernot drückte die Zigarette in die Glasschale auf der Fensterbank und legte das Tatortband auf die Couch. »Wenn Gabriel etwas verstecken hätte wollen, dann hinter der Pneumatologie. Er hat gesagt, dorthin würde sich Sophie nie verirren. Sein Schnaps ist auch dort.« Szombathy steckte die Hände in die Hosentaschen und stierte aus dem Fenster auf das Friedhofstor. Der Blumenladen blieb vorerst geschlossen.
»Ihr Blatt, Frau Rosenblatt!« Wotruba deutete auf die Bücherregale.
»Pneumatologie?! Das ist die Lehre vom Heiligen Geist, falls ich mich nicht irre.« Josephine las die Titel auf den Buchrücken. »Gernot?« Sie drehte sich nach Szombathy am Fenster um. Keine Reaktion. »Gernot! Stimmt das? Die Lehre vom Heiligen Geist?«
Szombathy nickte, die Augen weiter nach unten gerichtet. Zwei Männer in dunklen Anzügen flanierten auf dem Gehsteig an der Bushaltestelle vorbei.
Josephine zog einen Titel nach dem anderen heraus und stapelte die Bände auf den Fußboden. Endlich kamen ein loses Brett und eine Flasche zum Vorschein. Josephine nahm die Verblendung heraus, und in dem Hohlraum dahinter stand eine Aufbewahrungsbox von IKEA. »Ich habe etwas. – Glaube ich …« Sie hob die Schachtel heraus und stellte sie auf den Schreibtisch.
»Guter Mann!« Wotruba trat näher und fischte die Flasche aus dem Versteck. Es blieb unklar, wen er gemeint hatte, Gabriel oder Gernot. Der Chefinspektor spuckte den Korken auf den Boden und zog an der Flasche. »Auch einen?« Er räusperte sich, überreichte Gernot den Schnaps und fuhr sich über den Mund.
Gernot machte einen Zug und gab den Obstler weiter an Udo.
Kernreiter rubbelte mit dem Handteller über den Flaschenhals und trank. Er drückte Gernot die Flasche in die Hand, hustete und presste sich die Faust auf die Lippen. Seine Magensäure schlug Kapriolen. Was zur Hölle befand sich in dieser Box? Wieso war sie überhaupt hier? Sein Vorsprung schmolz dahin, und Steuben saß vielleicht schon im Flieger nach Berlin.
»Hoffentlich ist es nicht die Giftlade! Ich habe keine Lust, Dinge über Gabriels intime Vorlieben zu erfahren, die ich nicht wissen möchte.« Josephine nahm Gernot den Schnaps aus der Hand, setzte an und trank. Die Männer beäugten die Frau mit dem Obstler skeptisch. Josephine zog die Mundwinkel nach unten, knallte die Flasche auf den Schreibtisch und hob den Deckel der Kiste ab. Sie fuhr sich über die Lippen und bestaunte das Sammelsurium.
Die anderen kamen näher und linsten ihr über die Schulter.
Josephine fuhr mit den Händen in die Box und durchstöberte die Papiere und Bilder. Wenigstens keine schmollmündigen Silikonbomben in Lack und Leder. Unter noch mehr Postkarten vom Großen Turmbau, allesamt unbeschriftet, kamen Faksimileseiten eines mittelalterlichen Manuskriptes zum Vorschein. »Was zum Kuckuck?« Josephine nahm die Blätter heraus. Sie sah nackte Frauen mit geschwollenen Bäuchen in kleinen Teichen oder Badezubern, die Wannen über Rohre miteinander verbunden. Die Rohrverbindungen mäanderten blattfüllend und endeten in Blüten- oder Fruchttrauben. Neben den Illustrationen jede Menge Text. Erläuterungen, in einer unbekannten Schrift oder einem Kode wie in Blocksatz niedergeschrieben. Josephine zog die Brauen hoch.
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