Macht: Thriller (German Edition)
Frage beschäftigt, wie der Text des Voynich-Manuskripts entstanden ist. Rugg hat eine Tabelle mit zufälligen Zeichenkombinationen erstellt, die als Vor-, Mittel- oder Nachsilben neuer › Wörter ‹ gedient haben. Über diese Tabelle hat Rugg ein Cardan-Gitter geschoben, eine Schablone mit drei Fenstern.« Josephine setzte eine Pause. Als von Udo keine Einwände kamen – das wäre in ihren Augen sein Stichwort gewesen – fuhr sie fort. »Die Zeichenfolgen, die in den drei Fenstern erschienen sind, sind von verschiedenen Kalligraphen mit der Gänsefeder abgeschrieben worden. Bei allen war eine dreisilbige unverständliche › Sprache ‹ das Resultat. Die Ähnlichkeit mit dem Text des Voynich-Manuskriptes ist augenfällig. In viel kürzerer Zeit als in einem Skriptorium damals üblich hätte das Buch auf diese Weise verfasst werden können. Und weitaus kosteneffizienter. Das heißt im Klartext: gewinnbringender.«
Udo schüttelte den Kopf und wedelte mit dem Finger. »Die Materialanalyse hat eindeutig erwiesen, das Voynich-Manuskript ist zwischen 1404 und 1438 angefertigt worden. Die verwendeten Materialien sind einheitlich. Es stammt von einer Hand. Im fünfzehnten Jahrhundert ist die Verschlüsselungstechnik mit dem Cardan-Gitter außerdem noch gar nicht bekannt gewesen. Die Anfertigung dieses Manuskriptes ist nicht nur extrem zeitaufwendig, sondern auch sehr teuer gewesen. Vor diesem Hintergrund wirkt die Schabernack-Hypothese total an den Haaren herbei gezogen. Das Strampeln von verkopften Buchtheoretikern angesichts der Geheimnisse des Universums!« Udo wurde puterrot. »Sieh dich doch selbst an, du Oberlehrerin!«
Josephine schnaufte. »Die so genannte Hypothese – ich sehe da ja eher eine Theorie – wird zusätzlich durch den österreichischen Physiker Andreas Schinner gestützt. Schinner hat unnatürliche Regelmäßigkeiten in der Wortfolge des Manuskripts entdeckt. Regelmäßigkeiten, die in Texten, die in natürlichen Sprachen aufgeschrieben sind, niemals vorkommen. Und damit kenne ich mich als Ethnologin ein ganz klein wenig aus. Das deutet klar auf die Verwendung einer Schablone oder Matrize bei der Niederschrift des › Textes ‹ ! – Sie dir den Text doch an, wie mit dem Computer gesetzt und total regelmäßig.«
»Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.« Udo schüttelte den Kopf und presste das Faksimile an seine Brust.
Josephine knallte die flache Hand auf den Tisch. »Himmelherrgott! Die Methode der Errichtung einer selbsttragenden Kuppel war im Mittelalter auch nicht bekannt, und der versoffene, aber geniale Brunelleschi hat eine über dem Dom von Florenz errichtet! Da platzt mir doch der Kragen, wenn mir irgendwelche Sesselfurzer erzählen wollen, was zu welcher Zeit menschenunmöglich gewesen sein soll! Ist doch total schnuppe, ob das Cardan-Gitter erst im siebzehnten Jahrhundert beim Chiffrieren in Verwendung gewesen ist! Wir reden hier von einer Schablone zur Arbeitserleichterung! Alles Denkbare ist denkbar! Was würde dein Roger Bacon dazu sagen? Der hat sich in seinen Schriften auf Terrain gewagt, das für den so genannten mittelalterlichen Menschen total tabu gewesen ist!«
»Sesselfurzer wie Sie selber, Frau Doktor?« Wotruba wurde von einem Messerblick durchbohrt. Er riss beschwichtigend den Arm hoch. »Tschuldigung, der war aufgelegt.«
Udo machte eine saure Miene. »Bitte, ich gestehe jedem seine Meinung zu! – Ich will ja niemanden bekehren. Ich weiß, was ich weiß. Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als sich eure Schulweisheit träumen lässt.«
»Meinung?!« Josephine lachte auf. Das Lied hatte sie schon zu oft gehört. Das drückte ihre Knöpfchen. »Das sind harte Fakten, mein Lieber! Keine Meinung! Das ist ein Unterschied.« Sie ging auf Udo zu und entwand ihm die Seiten. »Aber das ist ja so typisch! Wenn Typen wie dir eine so genannte Expertise ins Konzept passt, ist sie unanfechtbar. Da zitiert ihr dann alle groß › die Experten ‹ . Aber wenn ein Fachmann, oder noch schlimmer, eine Wissenschaftlerin, das Gegenteil von dem feststellt, was ihr euch zusammenreimt, dann pocht ihr auf eure Meinungsfreiheit! Jeder darf dann denken und für richtig halten, was er will, und seine Ergüsse ins Netz stellen, nicht wahr? Da bauen dann die Aliens die Pyramiden, und die Welt geht am 21. Dezember 2012 unter, nur weil ein paar Mayas der Kalenderstein zu klein geworden ist! Dass auch noch andere ausgegraben worden sind, die über das Datum hinausgehen, ist völlig
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