Macht und Rebel
Dann duscht er und zieht ein anderes Hemd an, das ebenfalls aussieht wie aus dem Fundus von Taxi Driver, diesmal ein langärmeliges. In der U-Bahn sieht er am anderen Ende des Waggons Frank Leiderstam, den PUSH-Häuptling, aber er fährt nur eine Haltestelle weit und verzichtet daher auf ein Gespräch. Macht weiß, er müsste hingehen, er weiß, dass Frank Leiderstam ein wirklich zentraler Player ist, aber für ein so wichtiges Gespräch wäre jetzt nicht genügend Zeit. Sie nicken einander zu, das muss reichen. Ein Treffen mit Frank Leiderstam kann warten, bis die Zeit reif ist.
Macht geht erstmal ins TESCO oder »Bierhundehaus«, wie es auch genannt wird, um dort ein Bier zu trinken (er trinkt keine Cocktails, und hier im TESCO werden auch keine ausgeschenkt, denn der Wirt findet, dass nur Homos oder Geschäftsleute – in seinem Weltbild ohnehin dasselbe – welche trinken), dann geht er in das sehr geschmackvoll eingerichtete CISCO, wo das Treffen mit den T.S.I.V.A.G.-Leuten steigen soll. Einfach gesagt, ist das CISCO für reiche Säcke und das TESCO für Leute, die keine reichen Säcke mögen, die keine reichen Säcke werden wollen und das außerdem, wenn sie es denn versuchten, gar nicht schaffen würden. Macht weiß, dass er so viel verdient wie die restliche Klientel im TESCO zusammen, die zwei Frauen hinterm Tresen inklusive, aber das weiß sonst niemand, und rein stilistisch fällt er nicht auf. Mit anderen Worten, wer es nicht besser weiß, der findet nicht, dass Macht aussähe wie ein reicher Sack, TESCO liegt »ironischerweise« nur einen Block neben dem CISCO, und Macht nutzt es oft als Tränke, bevor er zu einem Geschäftsessen geht.
Am Ende des Tresens steht ein Mädchen, das seine Blicke ungewöhnlich beharrlich erwidert. Im politischen Untergrund hat man nicht oft Gelegenheit, wachen Leuten in die Augen zu schauen, um es mal so zu sagen. Macht findet das Mädchen ziemlich attraktiv für so eine junge Rote. Und die Verbände an ihren Handgelenken wecken sein Interesse zusätzlich. Suizidgefährdung zeugt von Engagement, denkt er und zitiert innerlich Kathy Acker: SUICIDE AND SELF-DESTRUCTION / is THE FIRST WAY THE SHITTED-ON START SHOWING / ANGER AGAINST THE SHITTERS. Sie ist suizidal, darum hat sie einen so unerschütterlichen Blick, räsoniert er weiter; sie weiß, was sie will. Frank Wise ruft an, und Macht stürzt das Bier runter, während er das Mädchen mit dem (wachen) Blick mustert, den, das WEISS er, (wache) Mädchen ihr ganzes verfluchtes Leben lang suchen, und nickt ihr im Gehen zu. So ist sie auf freundliche Weise genötigt, zurückzunicken. Und jetzt ins CISCO.
Der Türsteher lächelt zuckersüß und geleitet Macht quer durchs Lokal bis zu dem Tisch, an dem Frank Wise sitzt und ebenso zuckersüß lächelt, wie immer seit jenem Tag vor sieben Jahren, an dem er Macht frisch vom Wirtschaftsstudium wegschnappte. Wise hat schon manches Mal gedacht, dass Macht der einzige ihm bekannte Mensch ist, der sich seltener irrt als er. Das erkannte er gleich beim ersten Treffen kristallklar. Frank Wise brauchte damals nur zwischen sieben und neun Sekunden, bis er beschlossen hatte, den Jungen fest anzustellen.
Das Gespräch beim Abendessen zwischen Macht und Thomas Ruth läuft gut. Macht isst nicht viel. Feinschmeckeressen ist gegen seine Prinzipien, aber Frank Wise bestellt ihm trotzdem jedes Mal karamelisierten Steinbeißer.
Machts Strategie ist die folgende: Er hält das Gespräch am Laufen, indem er eifrig so viele Ideen und Vorschläge anbringt, dass erstens Ruth seine eigenen nicht formulieren kann – Macht weiß, seine sind sowieso besser als Ruths, die er folglich nicht hören möchte –, zweitens weiß er, dass Ruth der beste Mann bei T.S.I.V.A.G. ist, was bedeutet, dass, solange Ruth mit ihm einer Meinung ist, was er angesichts von Machts Überlegenheit sein MUSS, ganz T.S.I.V.A.G. mit Ruth einer Meinung sein muss, CEO Frank Wise trägt nur von Zeit zu Zeit gesellschaftlichen Smalltalk bei, er schmiert die soziale Atmosphäre, sorgt dafür, dass sie smooth bleibt, dass alle sich wohl fühlen, und er hält Hasse Cashavettes warm, den CEO von T.S.I.V.A.G.
Mitten bei dem Abendessen krempelt Macht seine Hemdsärmel hoch und legt die full-sleeve- Tattoos bloß, die sofort zum Gesprächsthema werden. Er macht eine Pause im Geschäftsblabla und erklärt eingehend, warum er sich den einen Arm hinunter WORLD WAR I und den anderen hinauf WORLD WAR II hat tätowieren lassen, in
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