Macht und Rebel
ob er nicht zu ihr rüberkommen will, aber Macht sagt, er glaube nicht, dass sie heute Abend die passende Gesellschaft für ihn ist. Sabrina sitzt am anderen Ende der Leitung, lackiert sich die Zehennägel und bekommt zu hören, dass er bereits eine andere Essenseinladung abgelehnt hat, dass er nicht glaubt, er werde eine andere annehmen, und dass er dermaßen viel Energie hat, dass er nicht weiß, wohin damit.
»So einen Überschuss wird man nicht los, indem man bei Rotwein und Kerzenlicht rumsitzt, Sabrina«, sagt er. Es sei gesagt – um die Tragweite ermessen zu können –, dass Sabrina WAHNSINNIG gut aussieht und hinter HARTEM und HEMMUNGSLOSEM Sex her ist wie eine läufige Hündin.
Macht klickt ein Fenster auf und programmiert darin an seiner Video-Jukebox, in einem anderen bestellt er bei Amazon eine neue Ausgabe von Alex Georges Western State Terrorism und Bernhard Hewletts Gas Chamber Laughs, zugleich beschließt er, heute Abend ins TENZING zu gehen, erstens, weil er weiß, dass donnerstags Nasdaq im Hinterzimmer zu sitzen pflegt, zweitens, weil es dort Live-Musik gibt. Er fürchtet zwar, dass DJ Franceman spielt, denkt aber, dass er sowohl Auslauf als auch Input braucht, und da ist Nasdaq genau der Mann, mit dem man reden muss. Dann muss er DJ Franceman eben überhören.
Sein Haar ist seit gestern nicht beeindruckend in die Höhe geschossen, aber er dreht noch eine Runde mit dem Barttrimmer. Vier Millimeter, das muss sein. Dann duscht er und schnürt seine NIKE-Kopien. Während er gebückt dasteht und schnürt und sieht, dass die Säume an den Schuhen demnächst platzen, denkt er kurz nach und setzt sich dann wieder an den PC. Mit einem Anschlag, der seinesgleichen nicht hat, schreibt er folgende Mail an den Marketingreferenten, mit dem er früher am Tage zusammen gesessen hat:
Meiner Meinung nach solltet ihr ernsthaft erwägen, mit einem gewissen Frank Leiderstam Kontakt aufzunehmen; seine »Firma« heißt push. Er vertreibt in Asien hergestellte Nike-Kopien, von denen ich empfehle, eine Partie anzuschaffen und weiterzuverkaufen, als Untergrundversionen eurer offiziellen Produkte. Eine Riesenchance. Vielleicht kann er sogar einen Kontakt zu seinem asiatischen Lieferanten vermitteln. Lasst nicht erkennen, dass ihr von nike kommt, Leiderstam ist äusserst konzernfeindlich, und kommt bloß nicht auf die Idee, das Ganze anzuzeigen. Leiderstam ist eine potenzielle Goldgrube für euch.
Macht
Dann fährt er mit der U-Bahn ins Zentrum und geht direkt ins TENZING, seit den späten Achtzigern Nasdaqs bevorzugter Hang-Out – bis auf das halbe Jahr, als der Laden 1991 den Besitzer wechselte und zur Ecstasyfabrikation genutzt wurde. Nach einer undramatischen Razzia wurden der alte Eigentümer und der alte Name wieder eingesetzt, und Nasdaq kehrte zurück. Der Donnerstag ist sein Tag.
Macht geht ins Hinterzimmer, denn vorn herrscht noch Totenstille; vor elf tut sich nie was im TENZING. Hinten thront Nasdaq und pflegt wie ein Wasserfall auf jeden einzureden, der vor ihm sitzt. Nasdaq ist eine Art sehniger, klapperdürrer Jabba Tha Hut asiatischer Abstammung, er trägt eine Mischung von Skater- und Junkiekostüm; er sitzt immer im Hinterzimmer des Lokals, stets umschwärmt, stets von seinem alten Burroughs-Fetisch geplagt und gut vierzig Jahre alt. Macht sieht sofort, dass Nasdaq ein neues Tattoo am Hals hat, und macht ihm Komplimente. Nasdaq dankt.
»War nicht unbedingt lustig, wie der mir immer hin und her mit der Nadel übern Adamsapfel geratscht ist, eine geschlagene Stunde lang, kannst du wirklich einen drauf lassen«, sagt Nasdaq und schaut Macht aus seinen schrägen Augen an.
»Nee, verdammt«, sagt Macht.
»Und, selbst was Neues?«
»Hab mit den Beinen angefangen«, sagt Macht und zieht das Hosenbein hoch. Die Umrisse von Frakturbuchstaben werden sichtbar, auf dem rechten Bein hinauf steht NORTH TOWER, am linken hinunter SOUTH TOWER. Nasdaq nickt anerkennend. Macht dreht sich um, hebt den Hemdrücken und zeigt den Schriftzug THE INTERNET, quer übers Kreuz, in Arial.
»Ja, man muss was nehmen, was nicht so schnell veraltet«, sagt Nasdaq. Macht fragt, ob DJ Franceman heute Abend auftritt, Nasdaq nickt.
»Franceman ist nicht mein Favorit«, sagt Macht. Nasdaq nickt, er ist ganz seiner Meinung.
»Hast du Francemans Kumpel mal gehört?«, fragt Nasdaq. »DJ Dow?«
»Yess. Ganz andere Klasse. Sympathischer Junge«, sagt Macht. Nasdaq nickt. Er ist immer noch ganz seiner Meinung. Er
Weitere Kostenlose Bücher