Macht und Rebel
Frakturschrift. Einer von Ruths etwas hinterwäldlerischen Kollegen unterbreitet unsicher lächelnd den Vorschlag, man könnte ja mal irgendwann eine Sache mit Tätowierungen machen, was Macht sofort abschlägig bescheidet.
»Wenn wir noch 1989 schreiben würden, dann vielleicht«, sagt er. »Aber wir sind mittlerweile alles andere als Prä-Godoy-Brüder, also sollten wir das vergessen.«
Danach hält der Kollege den Schnabel, aber jetzt kommt CEO Hasse Casha in Gang. Beim Anblick der Tattoos hat er leuchtende Augen bekommen und nutzt die Gelegenheit, um folgenden Witz anzubringen:
»Question: What goes õclickã 5.999.999 times and then õdingã?«
Man zuckt mit den Schultern.
»Answer: A Jewish cash register«, sagt Cashavettes und lacht dröhnend über seinen eigenen Witz. Thomas Ruth lacht, weil sein Chef lacht, der dritte T.S.I.V.A.G.-Kollege lacht, weil alle lachen. Macht sieht, wie Wise sich mehr oder weniger zum Lachen zwingt, also versucht er die Situation zu entschärfen:
»You know Godwin's Law, Hasse?«, fragte er.
»The-what law?«, fragt Hasse Cashavettes.
» Godwin 's Law …«
»No«, sagt Hasse Cashavettes.
»Well«, sagt Macht, »there is this maxime floating around in the Internet that a discussion ceases to be meaningful as soon as the Nazis are mentioned. That's Godwin's Law.«
»Well, then count me out of that discussion of yours, HA-HA-HA-HA-!« Cashavettes lacht so auffällig, dass die anderen Gäste sich zu ihnen umdrehen.
Nach zwei Stunden geschäftlicher Gemütlichkeit verlässt Macht das CISCO. Auf dem Heimweg geht er mental die Sitzungen des nächsten Morgens durch. Wie gesagt hat er ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis; kein Filofax oder so Scheiß bei dem Jungen, nee. Seine Strategien für die drei Sitzungen mit TROY-Net, NIKE und PHILIAC RECORDS hat er so gut wie fertig. Zu Hause liest er Natasha Boulton, Death of Birth; a Meditation on Why Childbirth has Become Boring und die ersten 127 Seiten von Sarah Burt, Powersucker; How to, Theoretically, Blow your Way to a Power-Job. Schon lange ist es Macht klar, dass alle nennenswerte kritische Theorie von (relativ gut aussehenden) jungen Frauen (unter 32) stammt. Nach der Lektüre arbeitet er ein wenig am Programm einer digitalen Video-Jukebox, mit dem er seit ein paar Wochen herumbastelt: Die Jukebox verbindet automatisch Mainstream-Musik mit einem digitalen Snuff-Movie-Archiv und schneidet beides in real time zusammen, so dass die Snuff-Movies dem Zuschauer wie Videoclips erscheinen. Dann schreibt er neun Mails und sieht ein paar Stunden fern.
DONNERSTAG
Um sieben wacht Macht auf und liest das Sarah-Burt-Buch aus, dann fährt er zu NODDY. Er hat EXTREM viel Energie. Susanna, die Sekretärin, hat ihm die Infos für die Sitzungen gemailt, was er eigentlich nicht bräuchte, denn er hat alles im Kopf. Es ist ein eher ereignisloser Tag; aus Machts Sicht ist der Höhepunkt das Gesicht des Marketingreferenten von NIKE, als er ihm erzählt, der beste Name für das jüngste Produkt, nachtschwarze gruselfilminspirierte Sneakers, sei entweder Nike und Nebel oder Niggernikes. Der Marketingchef ist nicht auf Anhieb überzeugt, aber nachdem Macht ihm eine Viertelstunde lang seine Autoritätslektion gehalten hat, lenkt er ein. Der Marketing referent war sowieso die ganze Zeit begeistert.
Während Macht zu Mittag isst, ruft Frank Wise an und fragt, ob Macht heute Abend noch einmal an einem Essen teilnehmen würde; drei Mitarbeiter von DSM sind an seiner Arbeit für Dune Records und DJ I-deal interessiert, aber Macht sagt nein. Er hat zu viel Energie, um schon wieder einen Abend lang herumzusitzen und rückständigen Entscheidungsträgern beim Essen zuzusehen, sagt er – wahrheitsgemäß. Frank Wise erhebt keine Einwände; Macht gegenüber erhebt er nie Einwände. Er hat begriffen, dass Macht autonom sein muss, egal, wie hoch die Zahl auf seiner Gehaltsabrechnung ist. Wise sagt das Essen telefonisch ab.
»Das wirtschaftliche Potenzial von NODDY besteht fast ausschließlich aus unkalkulierbaren Aktiva, und Macht ist das Kostbarste, was wir haben. Er ist unsere Goldreserve und kann völlig selbstständig entscheiden, was er macht, darum müsst ihr das Essen canceln«, hört die Sekretärin bei DSM in ihrem Headset.
Um vier verlässt Macht die Räume von NODDY. ZU Hause liest er die ersten 216 Seiten von Jessica Goldblatt, Asses to Asses and Bust to Bust; Lesbian Sex as the Funeral of Post-Capitalist Chauvinism. Sabrina ruft an und fragt,
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