Macht Vakuum

längerer Zeit, Kämpfe außerhalb ihrer Region zu unterbinden. Den gewählten Politikern der Westmächte ist scharf bewusst, dass ihre Wähler teure, langwierige Militäreinsätze nur dann unterstützen, wenn sie glauben, dass sie wichtigen nationalen Interessen dienen. Deshalb haben sie sich bei den ethnischen Säuberungen in Jugoslawien und beim Völkermord in Ruanda, bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sudan und bei dem Krieg zwischen Russland und Georgien im Jahr 2008 so lange wie möglich nicht eingemischt. Trotzdem werden wir in den kommenden Jahren wahrscheinlich eine noch größere Zahl lokaler Konflikte und eine noch stärkere westliche Zurückhaltung erleben, insbesondere solange im Westen gespart werden muss.
    Die Vereinigten Staaten haben sich aus dem Irak zurückgezogen und ein Rückzugsdatum für den Krieg in Afghanistan verkündet. Das heißt, sie überlassen es unterlegenen lokalen Führern, allein gegen jene zu kämpfen, die ihre Autorität in Frage stellen. Ohne die Angriffe des 11. September hätten die USA in diesen Ländern nicht interveniert, und die amerikanischen Truppen werden nicht zurückkehren, nur um den Sturz von Regierungen zu verhindern. Außerdem werden erstarkende Mächte wie zum Beispiel Russland im Krieg gegen Georgien darauf bestehen, die Probleme in ihren Regionen alleine zu regeln, und Länder aus anderen Regionen werden darauf fast nur noch mit diplomatischen Posen reagieren. 21 Das Versprechen »nie wieder« wird leerer sein als je zuvor, weil unter Kapitalmangel leidende etablierte Mächte und anderweitig beschäftigte Schwellenländer sich weigern werden, Lasten auf sich zu nehmen und Risiken einzugehen, an denen andere sich weder beteiligen wollen noch können.
    Doch konventionelle Kriege sind nicht die einzige und nicht einmal die furchterregendste potentielle Ursache für internationale Konflikte. Wenn die führenden Mächte mehr darauf bedacht sind, Arbeitsplätze zu schaffen, eine positive Handelsbilanz zu erreichen und die Inflation zu bekämpfen, als darauf, den Ausbruch von Kriegen zwischen wichtigen Staaten zu verhindern, dann rücken im Kampf um die Macht wirtschaftliche Werkzeuge in den Vordergrund: Marktzugang, Investitionsregeln, Währungspolitik werden wichtiger als Flugzeugträger, Panzer und Soldaten. So sicher wie Tod und Steuern werden Staaten durch den Mangel an internationaler Führung dazu motiviert werden, Öl, Gas, Metalle und Minerale und sogar Güter wie Getreide als Instrumente ihrer Außenpolitik einzusetzen.
    In einer G-Null-Welt wird der Kampf zwischen Großmächten viel wahrscheinlicher im Cyberspace als auf dem Schlachtfeld stattfinden. Staatlich unterstützte Industriespionage wird eine vielgenutzte Waffe im Kampf um natürliche Ressourcen und Marktanteile werden. Gleichzeitig werden viele Schwellenländer die alten westlichen Vorstellungen von Bankwesen, Telekommunikation und Internet-Standards in Fragestellen, und viele werden neue Mittel finden, den Strom von Ideen, Informationen, Menschen, Geld, Waren und Dienstleistungen, der über ihre Grenzen fließt, wieder unter staatliche Kontrolle zu bringen.
    Wir werden heute schon Zeugen, wie neue Barrieren errichtet und neue Drohungen erhoben werden. Sowohl in den alten Industriestaaten als auch in den Schwellenländern macht der Staat seine alte Autorität wieder geltend. BlackBerry ist ein typischer Fall. Sowohl Indien als auch Saudi-Arabien bestanden darauf, dass ihnen Research in Motion (RIM), der kanadische Hersteller des Geräts, die notwendige Software lieferte, um die Meldungen zu decodieren, die innerhalb ihrer Grenzen mit Blackberries verschickt wurden. 22 In Reaktion auf die Unruhen in London verlangte ein britischer Abgeordneter, die Versendung von SMS in Großbritannien vorübergehend zu verbieten, und als RIM anbot, mit der britischen Polizei zu kooperieren, drohten Hacker mit Vergeltungsmaßnahmen. Nicht nur der freie Informationsfluss ist vielen Staaten ein Dorn im Auge. Die Vereinigten Staaten beschweren sich, dass China den Zugang amerikanischer Unternehmen zu deren chinesischen Kunden einschränkt, und China antwortet mit dem Vorwurf, dass die USA chinesische Investitionen in die amerikanische Infrastruktur und in andere Wirtschaftsbereiche, vom Energiesektor bis zur Telekommunikation, verhindere. Die europäischen Staaten stehen unter Druck, die inneren Grenzen der EU wieder stärker zu bewachen. In einigen Fällen könnte die öffentliche Unterstützung für diese