Machtkampf
sich Sandra Kowick aus dem alten Bauernhaus geschlichen, um dorthin zu gehen, wo sie nicht gesehen werden durfte. Nur wenn ihr Chef Heiko Mompach im Urlaub war, was jährlich mindestens zweimal vorkam, wagte sie es, sich mit seiner Frau zu treffen. Linda Mompach war ängstlich und eingeschüchtert und riskierte es nie, ihrem herrschsüchtigen Ehemann zu widersprechen. Er hatte ihr gleich von Anfang an strikt verboten, mehr als das Allernotwendigste mit Sandra zu sprechen. »Mägde hatten schon früher im Haus der Herrschaft zu schweigen«, lautete seine Devise. Sandra sei eine Angestellte und dürfe keinerlei Einblicke in private Angelegenheiten bekommen.
Gleich zu Beginn, vor fast sechs Jahren, hatte er Linda und Sandra auf dem Hof bei einem Gespräch ertappt und einen Wutanfall bekommen, an den sich beide Frauen noch heute voller Entsetzen erinnerten. Diese eine Szene hatte gereicht, um ihm ein für alle Mal Respekt und Autorität zu verschaffen.
Sandra hatte er auf übelste Weise erniedrigt und ihr angedroht, sie »vom Hof zu jagen und aus dem Haus zu schmeißen«. Dann werde sie schon sehen, wo sie als Alleinerziehende unterkomme. Er hingegen sorge für sie, lasse sie mietfrei wohnen und zahle für sie Sozialabgaben, »damit du später wenigstens mal eine kleine Rente kriegst«. Die Worte hallten noch immer in ihrem Kopf nach. Schon viele Tausend Mal. Und mindestens genauso oft hatte sie sich vergeblich geschworen, dies nicht mehr länger erdulden zu wollen. Aber jedes Mal war es die Angst vor dem finanziellen Ruin und dem sozialen Absturz, der sie davon abhielt. Das schmerzte zwar nicht körperlich, zerstörte aber die Seele.
Sandra hatte vorsichtig geklingelt, als ob sie befürchte, Mompach erscheine leibhaftig an der Tür. Doch die Schritte, die von innen zu hören waren, waren jene von Linda, mit der sie bereits im Lauf des Tages dieses abendliche Treffen ausgemacht hatte.
»Komm rein«, sagte Linda Mompach beinahe mütterlich und so sanft, wie normalerweise in diesem Hause nie gesprochen wurde.
Sandra folgte ihrer ›Chefin‹, wie sie auf Wunsch Mompachs zu ihr sagen musste, durch den hell erleuchteten Flur in das Wohnzimmer. In seiner Gegenwart hatte sie es nie betreten, denn dort pflegte er nur besondere Gäste zu empfangen – den Bürgermeister oder seine Parteifreunde und Jagdgenossen. Auch der frühere Pfarrer war häufig hier gewesen und bis vor einigen Monaten auch Hartmann.
»Setz dich einfach irgendwo hin«, lächelte Linda, »ich hab uns Tee gemacht.« Sie verschwand in der Küche, während Sandra überlegte, in welchen der ausladenden Ledersessel sie sich setzen sollte. Sie entschied sich auch dieses Mal für jenen, der ganz links am Couchtisch stand. Dort saß sie immer, wenn sie sich trafen und sicher sein konnten, dass Mompach weit genug entfernt war, um sie nicht bei ihrem Treffen zu ertappen.
Sandra besah sich wieder einmal den rustikalen dunklen Wohnzimmerschrank, der so viele Schnörkel aufwies, dass er aus den 50er- Jahren stammen musste, vermutlich von Mompachs Eltern. An den Wänden hingen Jagdtrophäen und ein dunkles Ölgemälde, das eine Jagdszene darstellte.
Linda Mompach goss den heißen Tee ein, lächelte ihre Besucherin aufmunternd an und setzte sich in den Sessel neben ihr. »Es ist ein Tee, der die guten Geister wecken soll«, sagte sie und führte ihre Tasse zum Mund, was Sandra als Geste empfand, es ihr nachzutun.
»Heublumentee«, erklärte Linda schließlich. »Ich hab mich richtig drauf gefreut, dich zu treffen.« Linda hatte ihrer Angestellten schon beim ersten Treffen das ›Du‹ angeboten, was jedoch ihr Mann für völlig abwegig gehalten hätte. Angestellte auf dem Bauernhof, so seine Meinung, würden zwar grundsätzlich geduzt, doch mussten diese die Herrschaft stets siezen. Da ließ er nicht mit sich reden. Das sei schon von jeher so gewesen und dabei bleibe es.
Deshalb mussten die beiden Frauen bei der täglichen Arbeit darauf achten, nicht gegen diese alte Sitte zu verstoßen. »Ich find das Gesieze lächerlich«, griff Linda das Thema auf, als könne sie Gedanken lesen, »aber du kennst ja den Heiko. Wenn er sich was in seinen Dickschädel setzt, lässt er sich nicht mehr davon abbringen.« Sie atmete tief durch. »Aber jetzt haben wir vier Wochen vor ihm Ruhe.«
»Ich bin dir sehr dankbar, Linda, dass du über all die Jahre hinweg zu mir hältst. Manchmal hab ich schon gedacht, ich lauf einfach davon, schmeiß alles hin. Aber Manuel, … du weißt
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